Prisoners’ Lives Matter

07.02.22 (von ivk-jw) Prison Radio deckt täglich das menschenverachtende System hinter der US-Gefängnisindustrie auf / Am Ende Rückblick auf eine Kolumne Mumia Abu-Jamals über den 2020 an Covid-19 erkrankten Knast-Autor Sergio Hyland

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 31 vom 7. Februar 2022: Bitte HIER klicken![1]

Prisoners’ Lives Matter
Ich hatte fast zwei Jahre das Privileg, für Prison Radio aus dem Knast zu berichten, und kann kaum in Worte fassen, wie sehr ich durch diese Erfahrung gewachsen bin. Daher ist es mir eine große Freude, mitteilen zu können, dass ich nach mehr als 20 Jahren Haft endlich auf Bewährung entlassen und am Ende dieses Monats wieder zu Hause sein werde.

In den vergangenen zehn Jahren habe ich von einigen der stärksten und im Knast am meisten respektierten Männern viel gelernt: Mumia Abu-Jamal, Russell »Maroon« Shoatz und Saleem Holbrook. Sie haben mich dazu gedrängt, Autor zu werden, aber ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich eines Tages in der Lage sein würde, für Prison Radio direkt aus dem Gefängnis zu berichten. Deshalb möchte ich allen von Prison Radio danken.

Was wir im Fernsehen oder Radio sehen und hören, nehmen wir als selbstverständlich hin und denken nicht weiter über die Bedeutung dieser Medien nach. Doch die heutigen Mainstreammedien sind durchdrungen von kapitalistischer Propaganda, die von Leuten verbreitet wird, die sich als Journalisten ausgeben, in Wirklichkeit aber nichts anderes sind als Klatschreporter. Echte Nachrichten aber erreichen die Gefühle der Menschen, sie provozieren, sie inspirieren. Sie entfachen Leidenschaften und verärgern die Menschen, ohne ihnen Angst zu machen. Und echte Reporter zögern nie, ihre Meinung zu den Themen zu äußern, über die berichtet wird. Genau das macht die Arbeit von Prison Radio so einzigartig, authentisch und notwendig.

Gefängnisse sind Amerikas kleines, schmutziges Geheimnis – geschickt versteckt in ländlichen Gebieten, wo man sie zwar anfangs nicht haben will, dann aber wegen ihrer Wirtschaftskraft nicht genug von ihnen kriegen kann. Was sich hinter ihren ominösen Betonmauern und den kalten Stahlgittern abspielt, bleibt für die Mehrheitsgesellschaft weitgehend geheim. Wer am Rande der Gesellschaft lebt, weiß jedoch nur zu gut, welche gewalttätigen und zerstörerischen Kräfte im Inneren der amerikanischen Gulags am Werke sind.

Als ich die Chance ergriff, für Prison Radio zu berichten, war mir klar, dass ich zur Zielscheibe dieser gewalttätigen Kräfte werden würde. Es ist uramerikanisch, Vergeltung dafür zu üben, dass wir die Bedingungen unserer Inhaftierung in Frage stellen. Doch ich habe von Saleem, Mumia und Maroon gelernt, dass man das, was man ignoriert, dadurch nur stärker macht.

Ich war mir stets bewusst, wie gefährlich es ist, die Wahrheit auszusprechen. Freunde, Genossen und sogar Verwandte hatten Angst vor Repressalien und versuchten, mich davon abzubringen. Einige rieten mir, meinen Ton zu ändern, als meine Bewährungsanhörungen näherrückten, aber ich habe mich geweigert, dies zu tun. Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, uns selbst, unsere Ideologien und unsere Bewegung zu definieren. Wenn wir es zulassen, dass Mainstreammedien, Gefängnisbehörden und selbstsüchtige Politiker kontrollieren, was wir sagen, sorgen wir selbst dafür, dass unsere Mitbürger unwissend bleiben über die Realität hinter den Mauern.

Wir brauchen mehr von dem, wofür Prison Radio steht, mehr Korrespondenten, die aus dem Innern dieser Lagerstätten für Menschen berichten und trotz ihrer Angst dieses kranke und korrupte System mutig herausfordern. Prison Radio ist zu meiner Familie geworden, und ich ermutige jeden Gefangenen, sich dort zu engagieren. Ohne Prison Radio und vergleichbare Organisationen würden die Stimmen der Gefangenen weiter unterdrückt werden. »Prisoners’ Lives Matter« – das Leben der Gefangenen zählt.
Übersetzung: Jürgen Heiser

Sergio Hyland, Spitzname »Uptown Serg«, aus Pennsylvania gehört der Generation an, die seit den 1990er Jahren oft wegen geringfügiger Delikte zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Diese jungen Arbeiterinnen und Arbeiter, meist »People of Color«, sind die neuen Sklaven der US-Ökonomie, die in den Knastfabriken unbezahlte Arbeit leisten und Milliardengewinne schaffen. Die 2,3 Millionen Gefangenen des US-Imperiums sind eine eigene Nation – die »Gefängnisnation«, wie Abu-Jamal sie nennt. Ihre Zwangsarbeit erbringt hohe Profitraten im wachsenden gefängnisindustriellen Komplex. Wegen Hylands bevorstehender Freilassung veröffentlichte Prison Radio seinen Beitrag am vergangenen Mittwoch. Für den Abdruck in jW wurde er leicht bearbeitet. (jh)

Rückblick: Bereits im Dezember 2020 berichtete Mumia über den damals an Covid-19 erkrankten Sergio Hyland, Gefangener im US-Staatsgefängnis SCI Chester, Pennsylvania:
Link zum Artikel in junge Welt Nr. 292 vom 14. Dezember 2020: Bitte HIER klicken![2]


Links im Artikel: 2
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/420023.gegen%c3%b6ffentlichkeit-schaffen-prisoners-lives-matter.html
[2] http://www.freedom-now.de/news/artikel1860.html

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1976.html
Stand: 29.03.2024 um 05:57:51 Uhr