Kolumne 1.08.09: Hoffnungsträgerin Sonia

01.08.09 (von maj) Liberal oder neoliberal: Viel Wirbel um Obamas Kandidatin für den Obersten US-Gerichtshof

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 176 - 1./2. August 2009

Als Sonia Sotomayor, bislang Richterin am New Yorker Bundesberufungsgericht, von US-Präsident Obama für den Obersten Gerichtshof der USA nominiert wurde, um die Nachfolge von Richter David Souter anzutreten, waren die Würfel bereits gefallen. Es gibt nicht sehr viele Gewißheiten im Leben, aber Sotomayors Ruf ans höchste Gericht der USA war trotz der noch ausstehenden Überprüfung durch den US-Senat eine ausgemachte Sache.
Die Bestätigung durch die Senatoren war für die geborene Puertoricanerin, die mit ihren 55 Jahren für eine Richterin des Obersten Gerichtshofs noch relativ jung ist, jedoch schon als sehr erfahren bekannt war und wegen ihres überragenden Intellekts geschätzt wurde, reine Formsache. Denn über 50 Senatorenstimmen der Demokratischen Partei waren ihr von Anfang an sicher. Am Ende der viertägigen Anhörung vor dem Justizausschuß des US-Senats Mitte der Woche erklärten dann sogar noch drei Republikaner ihre Unterstützung für die Kandidatin. Bei einer Bestätigungen für den Obersten Gerichtshof reicht die einfache Mehrheit von 51 Stimmen der 100 Senatsmitglieder. Damit war Sotomayor der Einzug ins höchste Richteramt von Beginn an garantiert, und Obama hatte mit seiner ersten Nominierung für dieses Gerichtshof eine gute Wahl getroffen.
Wenn das eigentlich von Anfang an klar war, wieso kam es dann noch zu dem ganzen feindlichen Gezeter rechtskonservativer Senatoren, die keine Gelegenheit ausließen, vermeintliche oder tatsächliche Kommentare der weisen Juristin zu verdrehen? Das meiste davon war Theaterdonner, der mit Hilfe der Medien vor allem zu Hause im eigenen Wahlkreis der Senatoren gehört werden und den Wählern zeigen sollte, wie die »good ol’ boys« der konservativen Fraktion die »Liberale« zum Schwitzen gebracht haben.
Aber die Gescholtene tat ihnen nicht diesen Gefallen. Sie saß ruhig und gelassen vor dem Ausschuß, sprach in einem sachlichen Ton und konterte die gegen sie vorgebrachten nervtötenden Einwendungen. Sie ließ sich nicht provozieren und schnappte nicht nach den Ködern, die ihr hingeworfen wurden, weil sie wußte, daß sie das Rennen schon gemacht hatte. Wie gesagt, es war reine Formsache. Die einfache Mehrheit der Stimmen war ihr absolut sicher. So einfach war das.
Die sogenannten Hispanics repräsentieren die am schnellsten wachsende Minderheit der US-Bevölkerung, und sie sind sehr stolz auf Sonia Sotoma­yors Berufung an den Obersten Gerichtshof. Für diese Bevölkerungsgruppe ist das eine historische Errungenschaft. In Wahrheit aber zeigt Sotomayors Karriere als Juristin, daß der Vorwurf, eine »Liberale« zu sein – was im heutigen Gesellschaftsklima der USA ein anderes Schimpfwort für »Linke« oder »Kommunistin« ist –, nicht zutrifft.
Wenn sie eine Liberale ist, dann nur in dem Sinn, wie man den Expräsidenten William Clinton einen »Liberalen« nennen könnte, doch trifft sicherlich die Qualifizierung als »Neoliberale« in beiden Fällen eher den Kern. Oder glaubt wirklich jemand, George Bush senior hätte eine wirkliche Liberale zur Bezirksrichterin von New York gemacht? Oder Clinton hätte sie als seine Wunschkandidatin an das New Yorker Bundesberufungsgericht geschickt?
Eigentlich wissen ja alle, daß US-Präsident Barack Obama nicht der fanatische radikale Sozialist ist, als den ihn die ausgeflippte Rechte in ihren wildesten Phantasien hinstellt. Und genausowenig ist Sotomayor die »Rassistin«, die angeblich Weiße benachteiligen will, wie es dieselbe extreme Rechte in ihren Schreckensmeldungen verbreitet. Diese Taktik des Appells an die niederen Instinkte ist kläglich gescheitert.
Wie gesagt, Sotomayors Berufung in das Kollegium der neun obersten Richter war reine Formsache. Was ihre Mitwirkung nun an künftigen gesellschaftspolitischen Grundsatzentscheidungen ändern wird, muß sich noch zeigen. Verfassungsrechtliche Überprüfungen von Strafverfahren wurden von diesem Gericht jedenfalls bislang in 98 Prozent der Fälle ohne Nennung von Gründen mit dem Vermerk »Antrag abgelehnt« vom Tisch gefegt.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 10.11.2024 um 17:09:29 Uhr