Kolumne 29.12.07: Obama und der Frauenfaktor

29.12.07 (von maj) 2008 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Viele Afroamerikaner hoffen auf den Bewerber aus Illinois. Der müßte zunächst Hillary Clinton überflügeln

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 300 - 29./30.12.2007

Die US-Präsidentschaftswahlen finden erst im November 2008 statt, aber beim Ausblick auf das kommende Jahr ist klar, daß sie das beherrschende Thema in der offiziellen US-Politik sein werden. Losgehen wird es in Kürze mit der ersten Welle der »Primaries«, jenen Vorwahlen, in denen sich die möglichen Präsidentschaftskandidaten den Abstimmungen in ihren eigenen Parteien stellen müssen. In der Demokratischen Partei hat die bloße Präsenz des Bewerbers Barack Obama, US-Senator aus Illinois, schon einige Rätsel aufgeworfen. Anfangs wurde oft die Frage gestellt: »Ist er denn schwarz genug?« Hintergrund dieser Frage ist seine Herkunft aus einer Familie mit einem eingewanderten schwarzafrikanischen Vater aus Kenia und einer weißen Mutter, die in Kansas geboren wurde. Die tiefere Sorge hinter dieser Frage ist aber die der afroamerikanischen US-Bevölkerung, ob er überhaupt »das Zeug hat«, die Wahl zu gewinnen. Weiß er wirklich, wie das Leben der Schwarzen in den USA aussieht?
Es ist eine historische Kuriosität, daß Obama just in dem Moment als ein ernstzunehmender Kandidat antritt, als auch die Frau eines früheren Präsidenten, Senatorin Hillary Rodham-Clinton aus New York, nicht nur als die Spitzenkandidatin der Demokraten, sondern auch als die Erbin des Präsidentensessels angesehen wird, den ihr Mann vor etwa sieben Jahren verlassen hat.
Die demnächst stattfindenden Vorwahlen in den vorwiegend von Weißen bewohnten Gebieten des Nordostens und Mittleren Westens der USA werden die Richtung weisen. Nach ersten Einschätzungen führt Obama in Iowa knapp vor Clinton. Für die Wahlkampfleitung Obamas ist deshalb nicht die Frage, ob er »schwarz genug« ist, sondern wie er Clinton überflügeln kann.
Vor wenigen Wochen hat die Washington Post einen Artikel über schwarze Frauen veröffentlicht, die in einem Schönheitssalon in South Carolina über Barack Obama sprachen. Der US-Bundesstaat South Carolina ist für diese Erörterungen deshalb von besonderer Bedeutung, weil er den höchsten afroamerikanischen Bevölkerungsanteil aller Bundesstaaten aufweist: 30 Prozent Schwarze, die bei Wahlen 50 Prozent der abgegebenen Stimmen des Bundesstaates ausmachen. Eine junge Obama-Wahlkämpferin sprach mit einer 50jährigen schwarzen Buchhalterin, die eine Ansicht zum Ausdruck bringt, die weit über die Grenzen des Bundesstaates hinausweist: »Ich werde für Obama stimmen. Ich gehöre noch zur alten Garde, ich weiß, was hier abgeht. Er wird das Land nach vorn bringen, wie’s das vorher noch nicht gegeben hat. Natürlich wird er kämpfen müssen, wenn er siegen will, das weiß ich. In diesem System ist sein Sieg nicht vorgesehen. Ein Wunder wird nötig sein und viele Gebete, damit er gewinnen kann. Wenn Sie nur alle von uns dazu bringen könnten, zur Wahl zu gehen…«
Eine im November 2007 veröffentlichte Umfrage des Joint Center for Political & Economic Studies ergab, daß die potentiellen afroamerikanischen Wähler bei den Vorwahlen der Kandidatin Clinton 84 Prozent Ja- und 10 Prozent Nein-Stimmen geben würden. Bei Senator Obama stehen die Ja- zu Nein-Stimmen bei 74 zu 10 Prozent. Für diese überraschende Entwicklung gibt es eine Reihe von Gründen. Die wesentlichen sind der jeweilige Bekanntheitsgrad und die einfache Frage, ob die potentiellen Wähler die beiden Personen insgesamt für wählbar halten oder nicht. Hillary Clinton ist das, was man eine »bekannte Größe« nennt, und das schon seit gut zehn Jahren. Abgesehen von seinem Wahlkreis in Chicago, Illinois, war Obama bis vor wenigen Jahren völlig unbekannt. Erst beim Parteitag der Demokraten 2004 trat er aus der Anonymität hervor. Das machte ihn noch nicht zum Star der Partei, aber immerhin kannte man danach seinen Namen und behielt ihn als attraktiven Politiker in Erinnerung. Das ist aber erst drei Jahre her.
Der Artikel der Washington Post, der sich gezielt mit dem Wahlverhalten schwarzer Frauen auseinandersetzte, spricht einen bedeutenden Aspekt an, denn unter den afromaerikanischen Wählern sind Frauen in der Mehrheit – etwa 80 Prozent. Und seit 1950 stellen Frauen auch die Mehrheit der US-Bevölkerung. Das Abstimmungsverhalten der Frauen entscheidet also letztlich darüber, wer im Weißen Haus sitzen wird. Damit ist noch nicht gesagt, daß alle wahlberechtigten Frauen auch zur Wahl gehen oder daß sie eher für eine Frau als Präsidentschaftskandidatin stimmen würden, aber wenn Frauen zur Wahl gehen, dann sind ihre Stimmen ausschlaggebend für den Ausgang.
1980 bekam Ronald Reagan 46 Prozent Stimmen der Frauen, James Carter nur 45 Prozent. 1984 fielen auf Reagan sogar 56 Prozent weibliche Stimmen. George Herbert Bush bekam 1992 45 Prozent, und 1996 gewann er die Wahl gar mit 54 Prozent Stimmenanteil der Frauen.
Nach den letzten Erhebungen des US-Census im Jahr 2000 gibt es in den USA sieben Millionen mehr Frauen als Männer, verteilt natürlich über alle Altersgruppen. Wenn man sich vor Augen hält, daß nach offiziellen Zahlen George W. Bush die Wahl im selben Jahr aufgrund der Besonderheit, daß bei Präsidentschaftswahlen das von den Ergebnissen in den Einzelstaaten abhängige Wahlmännerprinzip gilt, mit nur 200 Stimmen Vorsprung vor Al Gore gewann, dann wird deutlich, daß es im kommenden Wahlkampf vor allem darauf ankommt, wer die Wählerinnen für sich mobilisieren kann.
Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 19.04.2024 um 01:16:21 Uhr