Kolumne 27.09.03: Ende der Institution Knast?

01.10.03 (von maj) Angela Davis verlangt »Entkerkerung« der Gesellschaft. Jede Abschaffung beginnt mit einer Bewegung

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 226, 27./28. September 2003

Es gibt immer wieder Bücher, über die braucht man nicht ausführlich zu schreiben, weil in ihnen eigentlich alles gesagt ist. So auch bei dem neuen Buch von Angela Davis »Is the Prison Obsolete?«, kürzlich erschienen im Verlag Seven Stories in New York. Es würde eigentlich schon reichen zu sagen: lest es!
Mit der für sie charakteristischen Brillanz, Würde und radikalen Verwegenheit hat Angela Davis die Debatte über die aktuellste Abolitionistenbwegung in den USA eröffnet. Es geht dieser Bewegung um die Abschaffung der Gefängnisse. Wie die Autorin ganz richtig feststellt, hat es in der US-amerikanischen Geschichte schon sehr viele Bewegungen zur Abschaffung von unterschiedlichen gesellschaftlichen Phänomenen, Zuständen oder Einrichtungen gegeben, und wenn diese Abolitionistenbewegungen ihren Kampf aufnahmen, dann schien es jeweils so, als wäre es völlig ausgeschlossen, daß sie je Erfolg haben könnten. Über viele Generationen schien die Abschaffung der Sklaverei eine reine Illusion. Nicht anders war es mit dem System der Rassentrennung, das sich auf ewig in der Gesellschaft eingenistet zu haben schien. Generationen erlebten tagtäglich seine bedrückende Praxis, aber nur wenige konnten sich vorstellen, daß es jemals von der Bildfläche verschwinden würde.
Das brutale, ausbeuterische (und wer hat schon den Mut zu sagen: lukrative) System der Zwangsarbeit für Kettensträflinge und ihre Ausleihe an staatliche Stellen und Privatfirmen gegen Bezahlung hatte sich aus der früheren Sklaverei entwickelt. In den Südstaaten der USA wurden dazu Millionen von Menschen den Gerichten zugeführt, und für Zehntausende Männer und Frauen führten die auf ihre möglichst langandauernde Verwertbarkeit ausgerichteten hohen Strafen zu unsäglichem Leid. Kaum jemand konnte sich damals vorstellen, daß dieses großangelegte System der Kettensträflinge je aus der US-amerikanischen Strafrechtslandschaft verschwinden würde.
Angela Davis entwickelt in ihrem Buch kenntnisreich, wie soziale Bewegungen all diese sozialen, politischen und kulturellen Einrichtungen und Zustände veränderten und dafür sorgten, daß deren Praxis nicht mehr fortführbar war.
Die Autorin versucht zu veranschaulichen, daß die Zeit der Gefängnisse ihrem Ende entgegengeht. Sie sagt geradeheraus, daß es höchste Zeit ist, die Gesellschaft von den Gefängnissen zu befreien - sie nennt es »decarceration«, also »Entkerkerung« - und tritt für eine dazu notwendige grundlegende Veränderung der gesamten Gesellschaft ein.
Es gab eine Zeit, da galt es in den USA als eine Beleidigung, jemanden einen »Abolitionisten« zu nennen. In den Nordstaaten löste der Begriff Spott und Hohn und in den Südstaaten heftige Empörung aus. Und dennoch waren genau sie die Vorboten großer Umwälzungen, die bereits am Horizont erkennbar waren. Die Abolitionisten standen auf der richtigen Seite, als Geschichte gemacht wurde. Professorin Angela Davis steht in dieser stolzen Tradition.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 16.04.2024 um 18:00:44 Uhr