Kolumne 17.05.03: Der erste Dominostein

19.05.03 (von maj) Ein weiterer Feldzug der »endlosen Kriege« scheint zu Ende zu gehen. Die Realität wird auch die USA eines Besseren belehren. Frei nach Brecht: »Es herrscht immer Krieg im Machtbereich des Imperiums«

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 114, 17./18. Mai 2003

Die Bombenhagel auf Bagdad ist vorbei und das Hussein-Regime ist gefallen. Ganze Divisionen haben ihre Uniformen und Stiefel abgestreift, ihre Waffen weggeworfen und sind Kämpfen mit der US-Armee aus dem Wege gegangen. Das klingt alles unglaublich, ist aber wahr. Obwohl es noch zu früh ist, den Krieg für beendet zu erklären, kann man doch sagen, daß ein Ende in Sicht ist. Oder etwa nicht?
Das scheinbar schnelle Ende des Irak-Krieges hat den Appetit der Hardliner in den Geheimdiensten angeregt, sich nach weiteren Staaten umzusehen, deren Regierungen man stürzen könnte. R. James Woolsey, der oberste Spion der früheren Clinton-Administration, der eher für seine Klasse und nicht so sehr im Namen seines früheren Präsidenten sprach, erklärte vor einer Gruppe Stuidierender, die USA befänden sich im Vierten Weltkrieg und die Feinde seien die Mullahs im Iran, die »Faschisten« in Syrien und verbliebene gegnerische Kräfte in Irak. Woolseys Erklärung steht stellvertretende für vergleichbare Ansichten in der Bush-Regierung, vor allem die des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld und seines Vize Paul Wolfowitz, die beide Drohungen gegen Syrien ausstoßen. Wolfowitz hat erst kürzlich vor dem Streitkräfte-Ausschuß gesagt: »Die Syrer zeigen ein sehr schlechtes Benehmen, darauf muß man sie hinweisen, und wenn sie damit fortfahren, dann müssen wir uns Gedanken machen, mit welcher Politik wir darauf reagieren.« (USA Today, 11.4.03)
Das könnte als Signal der Bush-Regierung verstanden werden, wer das nächste Ziel der imperialen US-Militärmaschine ist, und ein Hinweis darauf, daß weiterhin mit Bombardemets zu rechnen ist.
Die Drohungen gegen Iran, Syrien und weitere Staaten des Mittleren Ostens machen deutlich, daß die »Schlacht um Bagdad« wenig zu tun hatte mit »Massenvernichtungswaffen«, das Stichwort, das US-Regierung und Medien über Monate zum Hauptthema gemacht hatten. Um was geht es dann?
Im September 2000 ist eine Studie des »Projekts für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert« veröffentlich worden, in der zu lesen steht, die Stationierung von US-Truppen in Osteuropa und dem Mitteren Osten diene dem Aufbau einer »Vorpostenlinie der amerikanischen Sicherheit«. Diese »Vorpostenlinie« zielt auf eine permanente militärische Präsenz in verschiedensten Teilen der Welt einschließlich des Persischen Golfs, an den Iran, Irak, Saudi Arabien, Kuwait, die Arabischen Emirate und Oman grenzen. Die Studie mancht deutlich, daß dieses Gebiet von großer Bedeutung für die US-amerikanische Militärdominanz ist, und zwar aus Gründen, die nichts mit der angeblichen Suche nach »Massenvernichtungswaffen« zu tun hat:
»In der Region des Persischen Golfes ist die Präsenz amerikanischer sowie britischer und französischer Streitkräfte zu einer halbwegs selbstverständlichen Tatsache geworden. Wenn auch die vorrangige Mission dieser Streitkräfte darin besteht, die Flugverbotszonen über Nord- und Süd-Irak aufrechtzuerhalten, stehen sie doch für das Langzeitengagement der Vereinigten Staaten und ihrer Hauptverbündeten in einer Region von vitaler Bedeutung. Demzufolge haben die USA jahrzehntelang danach getrachtet, eine eher permanente Rolle in der regionalen Sicherheit am Golf zu spielen. Während der ungelöste Konflikt mit Irak eine unmittelbare Rechtfertigung darstellt, geht die Notwendigkeit einer substantiellen Präsenz amerikanischer Streitkräfte am Golf weit über das Problem des Regimes von Saddam Hussein hinaus.«
Wer, so fragt man sich, gehört wohl zu den maßgeblichern Denkern, die zu dieser Studie beigetragen haben? Obwohl das Projekt vornehmlich mit Top-Leuten des Verteidigungsministeriums und verteidigungsrelevanter Industriekonzerne wie der Northrup Grumman Corporation besetzt war, gehörte auch der bereits erwähnte Paul Wolfowitz ebenso dazu wie der Kriegsbefürworter und Falke William Kristol, Journalist des Weekly Standard.
Warum wohl werden Irak und seine Nachbarstaaten zu einer »Region von vitaler Bedeutung" (für die USA) gezählt? Auch wenn es nicht ausdrücklich bestätigt wird, so ist es doch so sicher wie das Amen in der Kirche: Öl.
Konfrontiert mit dem drohenden Sinken der Verteidigungsetats nach dem Ende des Kalten Krieges, haben sich Regierung und Industrie in diesem Projekt vereinigt, das dazu dient, Gründe zu schaffen, mit denen wieder darauf orientiert werden kann, den Wohlstand der Nation durch Aufrüstung und Entwicklung von Kriegsspielzeugen zu erhalten. Und siehe da, es kam der 11. September 2001 und die von den einstürzenden Türmen in Manhattan ausgelöste heillose Furcht lieferte die Grundlage für diese Neuorientierung. Dadurch war es für die Bush-Administration leicht, Schritt für Schritt die Bedrohung durch »Massenvernichtungswaffen« in Szene zu setzen und Irak zur Hauptbedrohung für die USA hochzustilisieren, auch wenn das für viele nicht nachvollziehbar schien.
Der Irak-Krieg war ein demonstrativer Akt, ein Krieg, mit dem Angst und Schrecken in das Herz der arabischen und muslimischen Welt gesät werden sollten, um sie auf eine »halbwegs permanente« Okkupation vorzubereiten. Das, was wir jetzt erlebt haben, war also erst der Anfang.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 12.10.2024 um 08:03:14 Uhr