Kolumne 868 vom 7.08.2017: James Baldwin – Krieger der Worte

07.08.17 (von maj) Die brillanten Beobachtungen und Analysen des afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin offenbaren die völlig entfremdete Seele der Schwarzen, die in Wahrheit nirgendwo zu Hause sind

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 181 vom 07. August 2017: Bitte HIER klicken![1]

James Baldwein – Krieger der Worte
Er kam am 2. August 1924 in einem Krankenhaus in Harlem mit dem Geburtsnamen James Arthur Jones zur Welt. Im zarten Alter von drei Jahren erhielt er von seinem Stiefvater den Nachnamen »Baldwin«, der in der Welt der Literatur und unter Schwarzen bis heute nachklingt.

Schon mit zwölf Jahren wusste James, dass er Schriftsteller werden wollte. Er wurde als Schüler für sein schriftstellerisches Können ausgezeichnet, weil seine Lehrer schon sehr früh sein Talent erkannten und ihn zum Schreiben ermutigten. Ursprünglich von Harriet Beecher Stowes (1811–1896) Roman »Onkel Toms Hütte« inspiriert, nahm er dieses Werk später auseinander und kritisierte es wegen seiner ärmlichen Sprache und als blutleere, nichtssagende Erzählung einer Geschichte, die Mut und Vitalität erfordert hätte, um sich mit den brutalen Schrecken des amerikanischen Sklavensystems und seinen bis heute fortbestehenden qualvollen Nachwirkungen auseinanderzusetzen. Baldwins Rezension wurde im Frühjahrsheft 1949 des Zero Magazines veröffentlicht. Sein markanter Stil brachte ihm weitere Aufträge von The Nation, Commentary, The New York Times Book Review und Harper’s Magazine ein. Der für seine Schreibe typische Biss, das packende Knistern und seine unverschämte Offenheit markieren bis heute sein Gesamtwerk.

Er war ein weitgereister Mann, den es brennend interessierte, wie Menschen an verschiedenen Orten der Welt lebten. Er traf Afrikaner im Ausland und versuchte, von ihnen vieles über Bereiche zu lernen, die Schwarzen in den USA nicht zugänglich waren. Schwarze können gleich aussehen und sich bemerkenswert ähnlich sein, aber in dem, wie sie die Welt wahrnehmen, können sie völlig verschieden sein: Die einen trachten danach, sich in den Staat der Weißen zu integrieren, während es den anderen darum geht, sich von dem weißen Eindringling zu befreien.

Demgegenüber beschreibt Baldwin, wie sich Schwarze in den USA gar nicht schnell genug von ihresgleichen absetzen können, sich der Einsamkeit und Isolation aussetzen und sich verloren an solchen Orten wie Paris wiederfinden. US-Schwarze (die zu Baldwins Zeiten noch »Negroes« genannt wurden), sind so sehr von den Ländern, Sprachen und dem Glauben ihrer Väter entfremdet – ganz zu schweigen von einer noch ausgeprägteren Entfremdung vom Land ihrer Geburt –, dass Baldwin sie als »unsichtbare Menschen« bezeichnet, egal ob sie in Paris oder in Harlem leben.

Baldwins brillante Beobachtungen und Analysen offenbaren die völlig entfremdete Seele der Schwarzen, die in Wahrheit nirgendwo zu Hause sind. Sie sind in der Lage, sich überall niederzulassen, finden aber nirgendwo Sicherheit, Trost und wahre Gemeinschaft. Baldwin, der sich immer bemühte, eher die Ausnahme zu sein als die Regel, kehrte immer wieder nach Paris zurück, wo er leben und arbeiten konnte, wie es für ihn in den USA nicht möglich gewesen wäre.

Baldwins Gabe ist seine Art, schonungslos die Wahrheit zu sagen über schwarze und weiße US-Amerikaner, die sich seit Jahrhunderten einer todbringenden, abweisenden, nur manchmal liebenden Umarmung ausgeliefert sehen: Jeder dem anderen ein Fremder, jeder sich dessen bewusst, was man übereinander denkt, aber nicht ausspricht. Baldwin sprach stets die unbequemen Wahrheiten darüber aus, was dieses »Amerika« ist und was nicht. In der Gegenwart mit ihren Konflikten wiederholen sich Baldwins Einsichten, denn auch wenn sich einiges tatsächlich verändert hat, müssen wir die nackte Wahrheit herausschreien, dass vieles geblieben ist wie eh und je.

Hätte Baldwin den Aufstieg einer Figur wie Donald Trump vorhersehen können, der jetzt mit aller Gewalt versucht, durch einen irrsinnigen Rückgriff auf die 1950er Jahre »Amerika wieder groß zu machen«? Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht, denn möglicherweise hätte dies auch die Vorstellungskraft dieses scharfsinnigen Denkers übertroffen. Aber darauf würde ich nicht wetten.

Baldwin war ein Mann, der sowohl Martin L. King als auch Malcolm X kannte und beide bewunderte. Eldrige Cleaver, Informationsminister der Black Panther Party, kränkte Baldwin wegen seiner sexuellen Vorlieben und lehnte ihn ab. Aber Baldwin wäre nicht Baldwin gewesen, wenn er in dieser Zurückweisung nicht die Schmerzen wiedererkannt hätte, die er seinem Freund und Mentor Richard Wright zugefügt hatte, als er dessen Arbeiten einer scharfen Kritik unterzog.

In seinen späteren Jahren litt Baldwin an einer Hepatitisinfektion, aber es war schließlich der Speiseröhrenkrebs, der ihn ins Reich der Ahnen beförderte. Seine Worte, seine Brillanz und sein Mut bleiben und nähren neue Generationen, die sowohl durch seine Größe als auch das offene Umgehen mit seinem Schwulsein gestärkt werden. James Arthur Baldwin gehört zwar seit 1987 zu unseren Ahnen, aber in Wahrheit ist er unsterblich.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/315849.james-baldwin-krieger-der-worte.html

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1553.html
Stand: 29.03.2024 um 11:35:32 Uhr