Kolumne # 759 vom 6.07.2015 - Kolumne für Mumia von Sundiata Acoli: Krank hinter Gittern

06.07.15 (von maj) Ein Plädoyer des in den USA vor 41 Jahren zu lebenslanger Haft verurteilten politischen Gefangenen und Ex-Black Panthers Sundiata Acoli für die Freilassung älterer und kranker Gefangener

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 153 vom 6. Juli 2015: Bitte HIER klicken![1]

Krank hinter Gittern. Kolumne für Mumia Abu-Jamal
Von Sundiata Acoli

In den USA steigen die Kosten des Gesundheitssystems weiter und sind für viele Familien unbezahlbar geworden. Im gefängnisindustriellen Komplex sieht es nicht anders aus, mit der Ausnahme, dass die Verantwortlichen per Gesetz gezwungen sind, die medizinische Versorgung der Gefangenen auf den Krankenstationen sicherzustellen.
Wenngleich die medizinische Versorgung im Knast unzureichend ist, kommen jüngere Häftlinge damit einigermaßen klar. Anders geht es den über 50jährigen Gefangenen, von denen die meisten an Altersgebrechen leiden wie Bluthochdruck, hohem Cholesterinspiegel, Diabetes, Arterienverkalkung, Herzleiden und Krebs. Auch Organverpflanzungen können sich als notwendig erweisen.
Kalifornien hat die größte Gefängnispopulation in den USA und so auch die höchsten Kosten für deren medizinische Versorgung. Statistisch gibt der Bundesstaat jährlich zwischen 98.000 und 138.000 US-Dollar für jeden über 50jährigen Insassen aus.
Am 11. August 2009 schrieb die New York Times in einem Leitartikel, dass nur wenige Tage vor einem Gefängnisaufstand in Chino, Kalifornien, ein dreiköpfiges Richtergremium dem Staat per Beschluss auferlegt hatte, innerhalb von zwei Jahren seine Gefängnispopulation von 150.000 Gefangenen um rund 40.000 Insassen zu reduzieren. Nur so könne garantiert werden, die medizinische Versorgung für die Insassen auf einen verfassungskonformen Stand zu bringen. Der Leitartikel schloss mit den Worten: »Die Meuterei in Chino und der Beschluss des Bundesgerichts enthalten die gleiche Botschaft für alle US-Bundesstaaten: Sie müssen sich einen intelligenten Weg überlegen, ihre Gefängnispopulationen zu reduzieren, und sie müssen es umgehend tun.«
Heute sitzen in den USA mehr Gefangene lebenslange Haftstrafen ab als je zuvor. Man nennt sie »Lebenslängliche«, ihre Zahl hat sich seit 1984 auf über 140.000 vervierfacht. Durch diesen Anstieg sind auch die Gesundheitskosten in den Gefängnissen explodiert. Viele Lebenslängliche sind älter als 50 Jahre, und die meisten von ihnen sind berechtigt, auf Bewährung entlassen zu werden. Der Rest wird lebenslang hinter Gittern sitzen, weil den Betroffenen im Urteil nicht das Recht auf Bewährung zugesprochen wurde. Für das Anwachsen der lebenslangen Haftstrafen sind Gesetzesverschärfungen unter dem »Law and Order«-Klima der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich. Auch Minderjährige werden in klarer Verletzung internationaler Abkommen zu lebenslang ohne Bewährung verurteilt.
Der andere Grund für das Ansteigen der lebenslangen Haftstrafen ist der institutionelle Rassismus des US-Justizsystems. Zwei Drittel aller Lebenslänglichen sind Latinos oder Schwarze. In 13 US-Bundesstaaten machen letztere 60 Prozent von ihnen aus. Im Staat New York sind nur 17 Prozent der Lebenslänglichen Weiße. Zahlreiche dauerhaft Verurteilte, die älter als 50 Jahre sind, sitzen bereits seit 20, 30 und mehr Jahren ein, und viele von ihnen sind 60, 70 und mehr Jahre alt. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren ist die Kriminalitätsrate gesunken, und alle verfügbaren Informationen ergeben, dass ältere Gefangene nach ihrer Entlassung kaum wieder straffällig werden und ins Gefängnis zurückkehren.
Deshalb ist es offenkundig, dass die intelligenteste und schnellste Methode, mit der Reduzierung der medizinischen Kosten im Gefängnissystem zu beginnen und ein Ende der Überbelegung der Knäste einzuleiten, die ist, alte, kranke und gebrechliche Lebenslängliche zu entlassen. Die Einleitung eines solchen Prozesses wäre nicht nur intelligent, sondern auch ethisch vertretbar, und die Familien und Liebespartner von Gefangenen sowie die Öffentlichkeit wären dann so klug, ihren Kongressabgeordneten aufzufordern, sich für ein derartiges Gesetz zur Reduzierung der Gefängniskosten einzusetzen.
Übersetzung: Jürgen Heiser

Der 78jährige Sundiata Acoli war Mitglied der »Black Panther Party« und wurde 1973 zusammen mit Assata Shakur verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach 41 Jahren gewährte ihm Ende September 2014 ein US-Berufungsgericht die Entlassung auf Bewährung. Noch sitzt er aber im Cumberland-Staatsgefängnis von Maryland, weil die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen seine Freilassung eingelegt hat, über die bislang nicht entschieden wurde.


Links im Artikel: 1
[1] http://www.jungewelt.de/2015/07-06/016.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1270.html
Stand: 25.04.2024 um 07:30:02 Uhr