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Rolf Becker: »Gebt keinen euresgleichen auf«

25.01.11 (von ivk/jw) Rolf Beckers Solidaritätsrede für Mumia Abu-Jamal und Gruß an ihn in die Todeszelle auf der XVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar 2011 in Berlin

Lasst mich anfangen mit einem Zitat, das Ihr vielleicht von mir nicht erwartet. Es kommt aus der Bibel: »Fürchte dich nicht vor dem, was du noch erleiden musst. « Das steht im sogenannten Knastbuch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, der ja von den Römern verbannt war auf die Insel Patmos. »Fürchte dich nicht vor dem, was du noch erleiden musst« – eine Zeile, die für Mumia Abu-Jamal täglich, stündlich, immer gegenwärtig ist. 30 lange Jahre zwischen Leben und Tod. Ich denke, ich spreche im Interesse der hier im Saal Anwesenden, wenn ich sage: einen Gruß in die Zelle.
Noch ein heutigeres Zitat und mehr auf uns bezogen. Das hat ein Freund von mir, Klaus Bremer, bei den Auseinandersetzungen um die Installation der Pershing-II-Raketen notiert:

»verliert nicht den mut
noch habt ihr nicht bis aufs blut
widerstand geleistet. «

Um diesen Widerstand leisten zu können, da denke ich, bedarf es der Diskussion und Auseinandersetzung, auch unter uns. Die Einheit kann nur am Ende eines gesellschaftlichen Prozesses stehen, dessen Anfänge wir erst erleben und den viele von uns erleiden. Wir haben das gesehen an den Transparenten, die hier herumgehen, an den Auftritten und an den Teilnehmern der Konferenz. Über allem notwendigen Debattieren und allen notwendigen Auseinandersetzungen, denke ich, sollten wir nicht vergessen, wofür wir eintreten. Konkret und auf Mumia bezogen: Alles tun, um die Solidaritätsbewegung zu verbreitern, alles tun, um Spaltung zu verhindern oder zu überwinden, und bei jedem Schritt erwägen, ob er dazu dient, Mumias Leben und Überleben zu sichern, und vielleicht und hoffentlich bald seine Freiheit zu erkämpfen.

On the move
Ich bin verschiedentlich heute darauf angesprochen worden und denke, ich kann davon ausgehen, dass die Frage viele von Euch bewegt. Wie steht es um die Verteidigung von Mumia? Wir wissen inzwischen, es gibt einen Wechsel des Verteidiger­teams. Robert R. Bryan, der hier anwesend ist und nachher auch sprechen wird, ist seit November nicht mehr Anwalt von Mumia. Es wird ein neues Anwaltsteam gebildet. Mumias Wunsch und Mumias dringende Bitte sind, seine Entscheidung zu akzeptieren und mitzutragen. Das heißt konkret für uns, abzuwarten, bis dieses neue Team durch ihn selbst vorgestellt worden ist. Für den Ablauf der Konferenz bedeutet das: Es gibt heute keinen Beitrag von Mumia. Robert R. Bryan, vor fünf Monaten bereits eingeladen, wird sprechen, aber erst gegen 16.15 Uhr, wenn der Zeitplan eingehalten wird, unter dem Tagesordnungspunkt Cuban Five. Er wird nicht über Mumia sprechen, sondern über die Lage der politischen Gefangenen, vor allem in den USA, und zur Abschaffung, der mehr als notwendigen Abschaffung, für die wir alle eintreten, der Todesstrafe. Eine Entscheidung über die Frage eines alternativen Vertreters war einerseits für die Veranstalter von der jungen Welt innerhalb weniger Tage jetzt nicht mehr möglich. Andererseits gilt es, wie gesagt, abzuwarten, bis das neue Verteidigerteam für Mumia arbeitet und bis es von Mumia selbst öffentlich vorgestellt worden ist.

Freiheit, was bedeutet das für Mumia? Als ich am 6. September 2009, also vor eineinviertel Jahren, bei ihm war, da ist mir das am Ende unseres Gespräches und sozusagen zum Abschied klar geworden: Das bedeutet zum einen das Ende der Einkerkerung, des Einbetoniertseins, des Schwebezustandes zwischen Tod und Leben. Das bedeutet zum weiteren, mit der Freiheit wieder die Möglichkeit zu haben, als Stimme der Stimmlosen aufzutreten, nicht nur aus den Mauern mit den wöchentlichen Kolumnen für die junge Welt, für die wir ihm danken, sondern live als Stimme der Stimmlosen. Das bedeutet aber auch, und das ist mir schmerzlich bewusst geworden bei diesem Abschied: Ich hatte ihn nach kulturellen Bedürfnissen gefragt, nach dem, was ihn beschäftigt, wenn er sich nicht nur juristisch auseinandersetzt und die Zusammenhänge hinterfragt. Da kramte er einen kleinen Zettel aus der Tasche, eingerollt mit einem Gummiband. Dem Zettel war zu entnehmen, dass es sich um einen gedicht­ähnlichen Text handelte. Er lehnte sich an die Seite der schweren Trennscheibe, weil an der Seite eine Stahleinfassung ist, wo man besser hört, und sang ein kleines Lied, einen Love Song: »Es gibt keine schönere Melodie als dein Lächeln. « Ein Lied an seine Frau. Er hat eine Frau, er hat Kinder, die er lange nicht mehr gesehen, schon gar nicht berührt hat. Das Berühren verhindert die Trennscheibe. Entsprechend war dann auch der Abschied: das Trommeln. Jeder, der ihn besucht hat, kennt das: mit den Fäusten, die Vibration der Scheibe als einzige Kontaktmöglichkeit mit Besuchern, mit Freundinnen oder Freunden. Trommeln und dann noch die Fäuste geballt. On a Move! Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Bis er eines Tages hoffentlich persönlich hier unter uns ist und auf einem Podium wie diesem hier erscheint. On a Move!

Wider die Spaltung
Erlaubt mir bitte noch einen kleinen Text, bezogen auf jede Solidaritätsbewegung, auch die für Mumia. Bezogen aber auch – ich denke, ihr könnt das sehr schnell gleich realisieren – auf die Auseinandersetzung, die jetzt im Moment von der bürgerlichen Presse versucht wird in unsere Kreise reinzutragen, als Versuch der Spaltung:

»Wie immer sie euch mitspielen, gebt keinen euresgleichen auf.

Der Bauer, der seinen steinigen Acker gepflügt hat, mag euch mißtrauen wie einem Viehhändler und euch aus seiner Tür jagen. Der ein Pferd zu wenig hat, hat Ohren euch zu hören. Gebt keinen euresgleichen auf.

Der Arbeiter, der die Maschine geölt hat, die ihm nicht gehört, mag euch verraten viermal, dann vertraue ihm das fünfte Mal. Setzt nichts aufs Spiel, aber setzt ihn in die Rechnung ein. Gebt keinen euresgleichen auf.

Der Soldat, dem der Sieg nichts nützt, mag seine Oberen fürchten und euch an das Rad des Geschützes binden. Dennoch ist er euer Helfer an dem bestimmten Tag. Gebt keinen euresgleichen auf.

Ihrem Feind folgen sie, wenn sie blind sind. Aber euch folgen sie, wenn sie sehen. Gebt keinen, keinen, keinen euresgleichen auf!« (+)

Rolf Becker ist Theater- und Filmschauspieler, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, Fachbereich Medien

(+) Von Bertolt Brecht verfasst 1936, als Fragment veröffentlicht unter dem Titel: »Wie immer sie euch mitspielen« in: Große Berliner und Frankfurter Ausgabe, Fragment, 1936, Band 14, Seite 326.

[Dieser Artikel erschien in der Beilage zur Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in junge Welt Nr. 28 vom 25. Januar 2011 und wurde für die Veröffentlichung auf www.freedom-now.de von Rolf Becker leicht redigiert]

 
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