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Kolumne 19.07.08: Dr. Watsons Genlabor

19.07.08 (von maj) Wie sich ein Biochemiker auf dem Gebiet der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften verirrte

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 167 - 19./20. Juli 2008

Hin und wieder verlassen US-Wissenschaftler die Abgeschiedenheit ihrer Laboratorien und versuchen die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, es gebe eine genetische Ursache dafür, daß Schwarze minderwertiger seien als andere Menschen. Einer aus dieser Riege ist Dr. James D. Watson, der 1962 für seine Erfolge bei der Entschlüsselung der Doppelhelix der DNA den Nobelpreis erhielt. In einem Interview, das Watson der Londoner Times im Herbst vergangenen Jahres gab, bezeichnete er »die Zukunftsaussichten Afrikas« als »inhärent düster«. Das Blatt zitierte Dr. Watson in seiner Bewertung afrikanischer Menschen mit den Worten: »Unsere gesamte Gesellschaftspolitik geht von der Annahme aus, daß ihre Intelligenz der unsrigen entspricht, wohingegen alle Untersuchungen belegen, daß dies nicht stimmt.«
Dr. Watson bezog sich mit »uns« wohl kaum allgemein auf US-Amerikaner, sondern nur auf Weiße. Nachdem sein Interview weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, erklärte er, er könne selbst »nicht verstehen«, wieso er diese Äußerung gemacht habe. »Denn«, so fügte der kritisierte Biologe hinzu, »für eine derartige Aussage gibt es keinerlei wissenschaftliche Basis.«
Die Älteren unter uns werden sich noch an ähnlich wissenschaftlich verbrämte diskriminierende Äußerungen des Nobelpreisträgers William B. Shockley erinnern, der behauptet hatte, menschliche Anlagen wie Intelligenz seien abhängig von der Hautfarbe. Solche Verunglimpfungen belegen, daß Wissenschaftler, die auf ihren jeweiligen Forschungsfeldern große Experten sein mögen, auf anderen Gebieten komplette Idioten sein können. Dr. Watson ist Biologe, Dr. Shockley erhielt 1956 den Nobelpreis für Physik wegen seines Beitrages zur Entwicklung des Transistors. Keiner von beiden kann eine Expertise in Sozial- und Gesellschaftswissenschaften vorweisen.
Ihre Ahnungslosigkeit auf diesem Gebiet erinnert an die alte Sufi-Geschichte von dem Mullah, der seinen Geldbeutel verloren hatte. Als Mullah Nasruddin gefragt wurde, warum er an Orten nach seinem Geldbeutel suche, an denen er ihn nicht verloren haben konnte, antwortete er: »Aber hier ist das Licht besser.«
Auch Watson und Shockley stocherten mit ihren biologistischen Plattheiten im Dunkeln herum und meinten, Licht in ein Gebiet zu bringen, das sie nie wirklich erforscht hatten. Wir sollten deshalb über ihre Wertungen nicht überrascht sein.
Unbestreitbar schneiden schwarze US-Bürger in der Frage ihres Bildungsstandes schlechter ab als ihre weißen, asiatischen oder hispanischen Mitbürger. Muß der Grund dafür nicht in der ebenfalls unbestreitbaren Tatsache gesucht werden, daß das US-Schulsystem nur aus dem Aufkommen der Grund- und Vermögenssteuer finanziert wird, das heutzutage gerade in den Ghettos der Großstädte äußerst gering ist? Natürlich steckt dahinter nicht von vornherein die böse Absicht, das Schulsystem unterzufinanzieren, schlecht auszustatten und in der Folge so viele Schüler gerade in den Armenvierteln, in denen Schwarze überrepräsentiert sind, zum Scheitern zu verurteilen. Aber es ist trotzdem einfach ein Fakt.
Im selben Jahr, in dem Dr. Watson dem Times-Journalisten seinen Unsinn diktierte, veröffentlichte das Magazin Vanity Fair in seiner Juli-Nummer einen Sonderteil über Afrika. Darin schrieb der kenianische Autor Wainaina Binyavanga über eine Studie, die ein Soziologe der Universität von Albany, New York, im Jahr 2003 verfaßt hatte. Die Studie belege, daß »Afrikaner im Durchschnitt die höchsten Leistungen von allen in den USA studierenden Gruppen erbringen – höher sogar als ihre weißen oder asiatischen Kommilitonen«.
Afrikaner erbringen die höchsten akademischen Leistungen an US-Hochschulen? Wann konnten wir darüber schon einmal etwas in lokalen oder überregionalen Zeitungen lesen? Offensichtlich auch Dr. Watson nicht. Sonst hätte er seine Behauptungen bezüglich der genetischen Bedingtheit der Intelligenz überdenken müssen. Denn wenn Afroamerikaner mit ihrem Bildungsstand statistisch so schlecht abschneiden, Studierende, die vom afrikanischen Kontinent stammen, aber so überdurchschnittlich gut, dann kann das nicht an den Genen liegen. Für Schwarze in den USA, die seit der Sklaverei ständiger Diskriminierung ausgesetzt sind und denen Bildung auch heute noch vorenthalten wird, ist es ermutigend zu hören, daß Afrikaner bildungsmäßig das Feld ihrer Zeitgenossen in den USA weit hinter sich lassen. Weil es zeigt, was möglich wäre.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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