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Kolumne 17.11.07: Tod im Drill-Camp

18.11.07 (von maj) USA: Die Schulen sind die Vorbereitung auf den Knast, die Gefängnisse der Vorhof zur Hölle

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 267 - 17./18.11.2007

In Florida wurde am 5. Januar 2006 ein vierzehnjähriger Junge brutal von sieben erwachsenen Männern attackiert. Sie nahmen ihn in die Mangel, hielten ihm den Mund zu, und als er nach Luft schnappte und ohnmächtig wurde, drückten seine Peiniger ihm Ammoniakkapseln in seine Nasenlöcher. Der Teenager kollabierte und war wenige Augenblicke später tot. Martin Lee Anderson starb als jugendlicher Strafgefangener im Boot-Camp von Panama City, Florida, seine Mörder gehörten zu einer Phalanx von sogenannten Drill-Ausbildern, die ihm »Manieren beibringen« wollten, als er beim Training nicht mehr laufen konnte. Eine Überwachungskamera hielt die furchtbaren Momente fest, in denen der Junge der Willkür seiner Bewacher ausgesetzt war.
Boot-Camps sind von ihrem Ursprung her die Trainingslager der US-Armee für Rekruten in der Grundausbildung, seit etwa 1990 aber versucht man, jugendliche Straftäter in paramilitärischen Einrichtungen, in denen sie ähnlich abgerichtet werden sollen wie ihre Altersgenossen beim Militär, »umzuerziehen«. Die Philosophie dieser Camps ähnelt der der US-Marines: Den Willen brechen, um ihn dann im Sinne der Ausbilder wieder neu aufzubauen.
Acht Bedienstete des Camps in Florida, darunter eine Krankenschwester, standen kürzlich vor Gericht. Die nur aus Weißen bestehende Jury sprach sie jedoch am 12. Oktober vom Vorwurf des Totschlags frei. Für die Beratung über den Fall Anderson hatten die Geschworenen sich soviel Zeit genommen wie für einen Mittagspausen-Snack. Die angeklagten Staatsdiener wären sicher härter angefaßt worden, wenn sie einen Hund zu Tode gequält hätten. Aber ihr wehrloses Opfer war nur ein schwarzer Junge.
Den Familien von jugendlichen Straftätern in den USA wird mehr und mehr bewußt, daß Boot-Camps und vergleichbare Einrichtungen für ihre Kinder die reine Hölle sind. Die Kinder und Jugendlichen werden dort mit äußerster Brutalität behandelt, sie werden geschlagen, mit Essensentzug und Einsperren in Käfigen bestraft. Das ist nichts anderes als staatlich geförderter Kindesmißbrauch.
Erst Mitte Oktober sind sieben Wärter der geschlossenen Abteilung des Jugendgefängnisses Coke County in West-Texas auf Anordnung der Texas Youth Commission entlassen worden. In dieser Jugendstrafanstalt herrschten nach den Worten eines Untersuchungsausschusses »bedauerliche Zustände«. Dazu zählten verdreckte Bettlaken, mit Kot verschmierte Zellen und Fälle von Jugendlichen, die man wochenlang in strenge Isolationshaft gesteckt hatte.
Fälle wie der von Martin Lee Anderson und die umfangreichen parlamentarischen Untersuchungsberichte über Gewaltexzesse und Folter in den Boot-Camps überall im Land zeichnen ein Bild, als befände sich das Land mit seiner Jugend im Krieg. Das öffentliche Schulsystem ist mittlerweile zu einem Vorhof für die Gefängnisse geworden. Vor allem in Gegenden mit vorwiegend schwarzer und Latino-Bevölkerung sind die Schulen Horte des Scheiterns. Und der Ausstoß der populären Trash-Kultur mit ihren unglaublich frauen- und lebensfeindlichen Songtexten befördert diese Entwicklung. Völlig abgetrennt vom intellektuellen Leben im Land, versuchen die Produzenten dieser kulturellen Umweltverschmutzung, Kleinkriminalität und Zuhälterei zu idealisieren und als sinnvolle Form des Überlebenskampfes zu propagieren.
Der Wegfall großer industrieller Produktionssektoren, die Militarisierung der Gesellschaft, das Scheitern des Bildungssystems und die zu Vorbildern hochstilisierten Gangsta-Rapper gehören zu den Bedingungen, unter denen einer nach Anerkennung und Lebenssinn suchenden Jugend zunehmend mit Gewalt, Drill und demonstrativer staatlicher Macht begegnet wird. Kinder der Unterprivilegierten sind in diesem Machtverhältnis keine Kinder mehr. Sie sind junge Kombattanten, die es zu terrorisieren gilt, wenn sie ausscheren und sich widersetzen.
Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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