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Kolumne 26.07.03: Unglücksritter des Kapitals

28.07.03 (von maj) Die vermeintliche Freiwilligenarmee der USA lebt von einer faktischen »Wehrpflicht für Arme«

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 172, 26./27. Juli 2003

Jeder Politiker, der etwas auf sich hält, spricht derzeit in den höchsten Tönen über die jungen Soldatinnen und Soldaten, die an der Peripherie des US-Imperiums kämpfen. Als »tapfer« und »mutig« werden sie bezeichnet und als »Verteidiger ›unserer‹ Freiheit«. Die Herrschenden sonnen sich im Schein der neuentfachten Liebe zu »unseren« jungen Kriegerinnen und Kriegern, aber wenn uns die Geschichte eines über die Lobgesänge der Politiker gelehrt hat, dann die Erkenntnis, daß ihre Liebesbekundungen in der Regel nicht länger überdauern als Schnee unter einem warmen Regenschauer im Frühling.
Wenn wir ehrlich sind und uns die Frage von der Perspektive der politischen Staatsführung her stellen, dann sehen wir, daß Soldaten nichts anderes sind als Werkzeuge zur Sicherung der Staatsmacht. Ihre Herren sehen sie so, wie eine Bienenkönigin auf ihre Dronen schaut: es gibt sie in rauhen Mengen, und deshalb sind sie im Einzelfall entbehrlich. Wir können zu keinem anderen Schluß kommen, wenn wir uns ansehen, wie die Veteranen vergangener Kriege behandelt werden - nicht von denen, die gegen ihr Kriegshandwerk demonstrierten, sondern von eben jenem Staat, in dessen Dienst sie standen. So wurden zum Beispiel die Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges hohen radioaktiven Dosen ausgesetzt, die über Generationen bei Tausenden von Soldaten große körperliche Schäden verursacht haben. Die Veteranen des Vietnamkriegs waren der verheerenden Wirkung des Entlaubungsgiftes Agent Orange ausgesetzt. Sie fanden ihren wahren Feind aber nicht in den Guerillakämpfern im subtropischen Dschungel Asiens, sondern in den Verwaltungen der heimatlichen Militärhospitäler, den Konzernführungen der chemischen Industrie und unter den Abgeordneten, die eigentlich ihre Interessen vertreten sollen. Sie alle nahmen die gesundheitlichen Probleme »ihrer« Soldaten mehr als eine Generation lang nicht ernst. Als Tausende Männer und Frauen 1991 aus dem Golfkrieg heimkehrten, brachten sie eine lebensbedrohliche Erkrankung mit, der sie den Namen »Golfkriegssyndrom« gaben. Wer stellte sich ihnen entgegen und versuchte ihnen weiszumachen, diese Krankheit existiere nur in ihrer Phantasie? Dieselben Leute, die schon ihre Vorgänger aus dem Vietnamkrieg zu Simulanten erklärt hatten.
Die massiven Proteste gegen den Vietnamkrieg zwangen die damalige US-Regierung, die Wehrpflicht abzuschaffen, die schon seit dem Zweiten Weltkrieg unpopulär war, und das einzurichten, was sie eine reine »Freiwilligenarmee« nennen. Das wirft die Frage auf: Wer meldet sich freiwillig zum Dienst und warum?
Studien belegen, daß Niedriglohneinkommen und chronische Arbeitslosigkeit ein wesentliches Element der Gründe sind, aus denen sich Menschen für den Militärdienst entscheiden. Raffinierte computer-generierte Werbekampagnen versprechen Tausende von Dollars zur Finanzierung eines Collegebesuchs und fahren auf dem Ticket, in der »Army of One«, der »starken Truppe«, die »wie ein Mann« hinter jedem einzelnen stehe, könne jeder seine eigene »Individualität« beibehalten. Angesichts schwindender Aussichten auf eine berufliche Karriere in einer von Rezession gezeichneten Ökonomie und der demoralisierenden Last, nur noch Jobs zu bekommen (wenn überhaupt), die in die berufliche Sackgasse führen, erweisen sich die TV-Werbespots der US-Armee als unwiderstehlich. Die in Philadelphia ansässige Organisation der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (Central Committee for Conscientious Objectors/CCCO) bezeichnet die gegenwärtige Rekrutierungsstrategie der US-Armee als »Wehrpflicht für Arme«.
Die Jennifer Lynchs dieser Welt, die auf den ökonomischen Schlachtfeldern unterentwickelter oder sich zurückentwickelnder Regionen wie West Virginia um ihr Überleben kämpfen müssen, sehen in der Kriegsökonomie des Militärs eine lebensfähige, stabile Alternative zu einer instabilen Zivilökonomie. Wieviele Leute gäbe es wohl in der Armee, wenn sich wirklich alle in den USA Bildung und Ausbildung leisten könnten? Oder wenn die Wirtschaft nicht von einer Rezession in die nächste stolpern würde?
Während der US-Kongreß Resolutionen verabschiedet, in denen die Verdienste und Erfolge der US-Truppen hervorgehoben werden, trifft dasselbe Repräsentantenhaus die Entscheidung, die medizinische Versorgung für die Kriegsveteranen im Verlauf der nächsten zehn Jahre um 25 Milliarden US-Dollar zu kürzen. Die Liebe der politischen Elite zu »ihren« Soldatinnen und Soldaten scheint gerade in diesen Tagen sehr wankelmütig zu sein. Gleichzeitig werden mehr und mehr öffentliche Gelder in den unersättlichen Rachen des militärisch-industriellen Komplexes gesteckt. Durch diese Entwicklungen vermitteln sich uns die ökonomischen Hintergründe des Krieges. Kriege werden nicht geführt im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, sondern allein im Interesse der Minderheit der Reichen und Besitzenden. Nur sie, zu denen Ölkonzerne, Rüstungsindustrie etc. gehören, können und wollen an den verheerenden Folgen der Kriege verdienen. Wie könnte auch der lange noch nocht beendete Irak-Krieg »zum Wohle und im Namen der Allgemeinheit« geführt werden, wo doch eine überwältigende und unerwartet hohe Zahl von Menschen sich ihm widersetzt hat? Zuallerletzt werden Kriege im Interesse derjenigen geführt, die sie ausfechten müssen. Sie kommen in ihrer Mehrheit aus den Reihen der armen Bevölkerung und der Arbeiterklasse. Es sind Menschen, die in einer sich ständig verengenden Ökonomie keinen Platz mehr finden. Sie gehen hinaus und kämpfen in anderen Ländern, weil sie erschöpft sind vom niemals endenden Kampf zu Hause. Ein Kampf, in dem es um eine angemessene und bezahlbare Bildung und Ausbildung geht, um angemessenen Wohnraum und garantierte Arbeitsplätze. Diese Soldatinnen und Soldaten kämpfen ums Überleben gegen wahrhaft skrupellose Feinde - die Eliten der US-amerikanischen Wirtschaft.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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