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Todesstrafe als Doktrin

04.08.03 (von jh) Vollständige Veröffentlichung des in der jungen Welt Nr. 178 vom 2./3. August 2003 leicht gekürzten Artikels

[Einleitung der jungen Welt]
An dieser Stelle wird seit nunmehr 138 Wochen regelmäßig die Kolumne von Mumia Abu-Jamal veröffentlicht. Es kam bisher nur einmal vor, daß der unermüdlich schreibende Autor keine wöchentliche Kolumne beisteuern konnte. Das war im Früjahr 2001, als er vor dem Problem stand, sein Verteidigungsteam kurzfristig neu besetzen zu müssen. Die junge Welt hat damals einen Beitrag von Jeff Mackler, Westküsten-Koordinator der USA-Kampagne, veröffentlicht, der die Situation erklärte. Heute ist der zweite Fall eingetreten. Statt dessen berichtet Jürgen Heiser, Übersetzer der Kolumnen und Sprecher des Bremer Internationalen Verteidigungskomitees (IVK), worum es jW-Autor Abu-Jamal in diesen Tagen politisch geht und welche äußeren Bedingungen sein Schreiben in der Todeszelle von Zeit zu Zeit immer wieder einschränken. Die Regelmäßigkeit seiner Kolumnen kann leicht darüber hinwegtäuschen, wie schwer es für einen seit fast 22 Jahren isolierten Gefangenen im Todestrakt ist und wie wichtig, jede seiner Kolumnen als Teil eines Überlebenskampfes zu begreifen, der beides braucht: den angesichts seiner politischen Verfolgung unbeugsamen Menschen und Autor ebenso wie die breite Unterstützung seiner Leserinnen und Leser.

Die Todesstrafenpraxis der USA wird international ausgeweitet
Seit nunmehr vierzehn Jahren wird in der BRD in einer öffentlichen und breit angelegten Kampagne kontinuierlich und beharrlich dafür gearbeitet, die Todesstrafe im allgemeinen, im besonderen aber in den USA abzuschaffen.
Staaten wie Südafrika und die Türkei, von denen die Todesstrafe lange Zeit massiv eingesetzt und ebenso massiv gegen Kritik verteidigt wurde, haben neben vielen anderen Staaten in der Welt diese barbarische Art der Bestrafung durch legalen staatlichen Mord mittlerweile abgeschafft.
Nicht so die USA, die als selbsternannte »Wahrerin der Menschenrechte« in aller Welt die Todesstrafenpraxis sogar intensiviert und die gesetzlichen Grundlagen erweitert haben. Der heutige US-Präsident, George W. Bush, hat als gnadenloser Gouverneur von Texas so viele Hinrichtungsbefehle unterschrieben wie noch kein Gouverneur der USA vor ihm.
Die Bush-Administration dehnt ihren Einflußbereich, in dem die Todesstrafe auch gegen Bürgerinnen und Bürger fremder Staaten verhängt werden kann, kontinuierlich aus.
Bestes und dramatisches Beispiel ist der Neubau einer Hinrichtungsstätte im Lager Camp X-Ray auf dem US-Militärstützpunkt Guantanamo Bay, wo Angeklagte aus vielen Ländern ohne gesetzliche Grundlage festgehalten werden und Militärtribunale erwarten, die auch in bürgerlichen Kreisen als eine Verhöhnung rechtsstaatlicher Grundsätze angesehen werden.
Angehörige militärischer Einheiten von Ländern, in denen die Todesstrafe illegal ist, können sich durch die Zusammenarbeit mit dem US-Militär strafbar machen, wenn sie den US-Militärtribunalen Gefangene zuführen, die dann unter dieser neugeschaffenen US-Militärgerichtsbarkeit zum Tode verurteilt werden. Auf deutsche KSK-Soldaten und britisches Militär trifft das vor allem zu. Im Bundestag ist dieses Problem anläßlich des Afghanistankrieges durch PDS-Abgeordnete wie Wolfgang Gehrke thematisiert worden. Die britische Regierung protestiert trotz ihrer engen Kooperation mit den USA derzeit heftig gegen die Errichtung der Hinrichtungsstätte im Camp-X-Ray. Nicht nur wegen der eben angesprochenen Problematik für die britischen Soldaten, sondern auch, weil britische Staatsbürger dort als »Terroristen« bzw. »ungesetzliche Kombattanden« von Todesurteilen bedroht sind.
Die Todesstrafe in den USA hat mit dieser Entwicklung eine neue internationale Dimension erreicht, die jetzt internationales Handeln erfordert, da wir erst am Anfang dieser Entwicklung stehen.

Symbolhafte Siege über die Todesstrafe sind im Hinblick auf ihre generelle Abschaffung von außerordentlicher Bedeutung
Der Schritt des im Januar 2003 aus dem Amt geschiedenen Gouverneurs von Illinois, George H. Ryan, als letzte Amtshandlung alle 167 Todeskandidaten seines Bundesstaates zu begnadigen und einige von ihnen wegen erwiesener Unschuld oder weil ihre Geständnisse unter Polizeifolter erpreßt worden waren, sofort freizulassen, hat dem System des »capital punishment« einen entscheidenden Schlag versetzt. Und zwar deshalb, weil Ryan seine Entscheidung mit dem Unrecht und der Barbarei der Todesstrafe begründet hat, die er aufgrund der unmittelbaren Nähe zu ihrer Verhängung und Vollstreckung während seiner Amtszeit als ihren grundsätzlichen Wesenszug erkannt habe. Sein schlichtes Urteil: »Dieses System ist nicht reformierbar, es muß abgeschafft werden.«
Ein weiterer Mensch, der seit fast 22 Jahren der Todesstrafe durch seine ganze Lebenspraxis nicht nur symbolhafte Schläge versetzt hat, ist der ehemalige Black Panther, unabhängige Journalist und Autor dieser Zeitung Mumia Abu-Jamal.
Seine Artikel und Kolumnen, seine Bücher haben in den vergangenen zehn Jahren vor allem auch in den USA zu bedeutenden Meinungsänderungen geführt. 1995 noch schien dort die Befürwortung der Todesstrafe einhellig. Fünf Jahre später wurde bis in die äußerst konservative New York Times und weite Kreise der beiden politischen Parteien hinein die Kritik an der Todesstrafe und ihrer Unberechenbarkeit ständig lauter. Angesichts von weit über einhundert Gefangenen, die wegen nachträglich erwiesener Unschuld und regelmäßig für ihre Verurteilung verantwortliche Polizeikorruption in den letzten Jahren freigelassen werden mußten, muß die Ignoranz schon groß sein, wenn das immer noch nicht zu Zweifeln an einer »Rechtspraxis« führt.
Mumia Abu-Jamals Fall selbst ist ein Paradebeispiel für die Gefahren, die die Todesstrafe in sich birgt, denn er ist nicht als überführter Täter, sondern erwiesenermaßen als politischer Dissident verurteilt worden.
Die Durchsetzung seiner Freilassung würde nicht nur sein Leben retten, was schon Grund genug wäre, sondern wäre ein weiterer symbolhafter Sieg über das System der Todesstrafe, dessen Tragweite vielen nicht wirklich bewußt ist, die sich mit der heutigen Enwticklung von Krieg und Unterdrückung in der Welt auseinandersetzen.
Mumia Abu-Jamals Fall ist schon lange ein Politikum. Entlastende Beweise allein reichen bei ihm nicht mehr aus, um politische Bewegung in seinen nur vordergründig juristischen Fall zu bringen. Denn der geständige Berufskiller Arnold Beverly, der sagt, er und nicht Abu-Jamal habe den Polizisten Daniel Faulkner erschossen, hat durch sein Geständnis eine Dimension des Falles eröffnet, die darauf hinweist, daß hinter der Verurteilung Abu-Jamals mit bewußt gefälschten Beweisen das Interesse steckt, einen Korruptionsskandal zu verdecken, in den weite Kreise der Polizei, der Justiz und politischer Repräsentanten in Philadelphia und im Bundesstaat Pennsylvania verwickelt sind. Seit 1992 hat die Verteidigung dazu eine immense Beweislast für die Unschuld ihres Mandanten Jamals zusammengetragen. Die letzte ursprüngliche Belastungszeuging ist mitterweile durch die Aussage ihres Stiefbrudes Kenneth Pate gefallen (jW berichtete).
In dem Buch »Free Mumia - Dokumente, Analysen, Hintergrundberichte« (erschienen im März 2002 im Atlantik Verlag sind alle wesentlichen neuen Beweise für Abu-Jamals Unschuld und Analysen der oben angeführten Korruption in deutscher Sprache belegt.

Mumia Abu-Jamal braucht dringend internationale Öffentlichkeit
Um Mumia Abu-Jamals Fall in den entscheidenden beiden Jahren 2003 und 2004 zu einem Politikum zu machen, das letztlich seine Freilassung bewirkt, laufen jetzt intensive Bemühungen, mit Unterstützung bekannter Juristen und Menschenrechtler die Korruption unter seinen Gegnern und die Ungesetzlichkeit seiner Verurteilung in internationale Gremien und vor die Weltöffentlichkeit zu bringen. Schwerpunkte dieser Bestrebungen liegen in den USA, Frankreich, England, Skandinavien, Italien und Deutschland.
Das IVK, das sich generell für Menschen einsetzt, die von Folter und Todesstrafe betroffen sind, wurde im vergangenen Jahr auch deshalb gegründet, um eben diese Bestrebungen voranzutreiben.
In den USA haben erst kürzlich Prominente wie Alice Walker, Bobby Seale, Jesse Jackson, Ossie Davis, Sam Jordan, Howard Zinn und andere öffentlich dafür plädiert, sich für Freiheit und Leben von Mumia Abu-Jamal einzusetzen und seine Verteidigung dringend mit Spenden zu unterstützen. Es muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß dieses Anwaltsteam seit vielen Jahren honorarfrei arbeitet und die jetzt erforderlichen Gelder vor allem für Recherche, juristische Gutachten und die Finanzierung der Suche nach weiteren Zeugen durch private Ermittler gebraucht wird.
Vielleicht kann die heute ausbleibende Kolumne deutlich machen, welch wichtige Stimme im internationalen Ringen um eine soziale und gerechte Weltordnung fehlen würde, wenn seine gegener ihn wirklich endgültig zum Schweigen bringen würden. Machen wir uns alle klar: nach wie vor ist das Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal rechtskräftig und die Befürworter seiner Hinrichtung sitzen immer noch fest in ihren Sätteln.
Jürgen Heiser

Kontakt:
IVK, Postfach 150530, 28095 Bremen, Fon/Fax 0421/354029, E-Mail info@freedom-now.de,
Online Info der Kampagne: www.freedom-now.de

Spenden
bitte unter Stichwort »Verteidigung« an:
Archiv 92/Sonderkonto Jamal, SEB-Bank Bremen, Kto.-Nr. 100 873 8701 (BLZ 290 101 11)

 
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