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Kolumne 28.06.03: Nina Simone – ein Leben in Würde

28.06.03 (von maj) In diesem Jahr verstarb die legendäre afroamerikanische Sängerin. Hat sie Nachfolgerinnen gefunden?

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 148, 28./29. Juni 2003

»Unsere schönsten Lieder sind jene, die von unseren traurigsten Gedanken handeln.«
Percy Bysshe Shelley (1792-1822) in »To A Skylark«

In der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts wird ein besonderes Kapitel der bemerkenswerten und talentierten Sängerin Eunice Kathleen Waymon vorbehalten sein, die wir als Nina Simone kannten und die in diesem Jahr 70-jährig gestorben ist. Aber auch in einer wahrheitsgemäßen Geschichtsschreibung werden Worte, egal wie gekonnt und vortrefflich gewählt und meisterhaft formuliert sie auch sein mögen, nicht annähernd wiedergeben, wie wunderbar diese Frau war. Dem Geschichtsbuch sollten Plattenaufnahmen hinzugefügt werden, damit Schülerinnen und Schüler im Unterricht in den Genuß ihrer hinreißende Altstimme kommen, die so tief, voll und und schwer war wie die Erde im verheißungsvollen Frühjahr.
Auch eine Auswahl ihrer Texte sollte abgedruckt werden, damit niemand die Worte versäumt, die sie zur Musik zu setzen wagte und die sie mit Leben erfüllte - mit einem Ungestüm, einer Leidenschaft und einer puren künstlerischen Verwegenheit, von der man auch heute noch, Jahre und Jahrzehnte nach ihrem Entstehen, verblüfft ist.
Sie war eine außergewöhnliche Künstlerin im besten Sinne des Wortes, aber sie war noch mehr als das, was dieser Begriff vermittelt. Sie war stolz, souverän, majestätisch und auf köstliche Weise arrogant, wie es etwa der große Jazzmusiker Miles Davis in seinen besten Jahren war.
Der Verfasser erinnert sich noch gut an ihren Auftritt in den späten 70er Jahren in einem Open-Air-Konzert während der Mittagszeit auf dem Campus der Temple University in Philadelphia. Sie schaute mit einer aufgeregten Irritation auf ihr Publikum, die ihre Ursache nicht im Lampenfieber hatte, sondern in einer kaum verhüllten Verärgerung darüber, daß sich nur ein paar hundert Leute eingefunden hatten hatten, sie zu hören, und nicht ein paar tausend.
Nina Simone sang ihre Lieder mit Biß und Mumm, voller Stolz, Sehnsucht und Wut. Eine heftige, aus tiefster Seele kommende Wut über das schlechte Leben, das Afrikanerinnen und Afrikaner in Amerika zu leben gezwungen sind. Ihr »Mississippi Goddamn« war eine Hymne, die nicht nur der Bürgerrechtsbewegung, sondern auch der Schwarzen Befreiungsbewegung Auftrieb gab: »Ihr braucht nicht in meiner Nachbarschaft zu leben, müßt mir nur meine gleichen Rechte geben!« forderte sie darin. Ihre Songs konnten auch zärtlich sein, Oden der Liebe, gewidmet der mannigfaltigen Schönheit und dem unbändigen Geist schwarzer Frauen wie zum Beispiel in ihrem Erkennungslied »Four Women«, in dem sie über die verschiedenen Temperamente und Hautfarben ihrer Schwestern sang.
Jahrzehnte bevor Erykah Badu sich ein Kopftuch auf afrikanische Art aufsetzte, trug Simone es bereits und ihr Gang war so hoheitlich wie der einer nubischen Prinzessin. Auch wenn sie in den rassistischen Südstaaten der USA geboren wurde, war der stille und duldsame Weg der Apartheid niemals der ihre, und mit ihren Liedern und in Interviews sprach sie sich mutig gegen die Ungerechtigkeiten aus, unter denen ihr Volk leidet. Als die Nixon-Ära begann, sagte sie ihrem Heimatland Lebewohl, und wie der Schriftsteller Richard Wright und viele andere exzellente schwarze Künstlerinnen und Künstler, die sich nicht der Gemeinheit, Niedertracht und rassistischen Würdelosigkeit dieser Zeit ergeben wollten, migrierte sie nach Frankreich, um dort ein Leben in Würde führen zu können. Als sie die USA damals in den 70er Jahren verließ, erklärten einige Kommentatoren ihre Karriere im wesentlichen für beendet. Aber große Künstlerinnen haben ähnlich wie große Musik die Angewohnheit, immer wieder aufs neue aufzuerstehen. In den frühen 90ern tauchte ein US-Film auf, der sich an ein früheres französisches Werk anlehnte. Bridget Fonda spielte darin eine entwurzelte drogenabhängige Jugendliche, die in einen gescheiterten Überfall auf ein Drugstore verwickelt war und jemanden tötete. Sie landete schließlich im Schattendasein eines Geheimdienstes, in dem sie fortan für die Regierung arbeitete. In Filmszenen, in denen die Protagonistin allein zu sehen war, spielten im Hintergrund ausnahmslos Lieder von Nina Simone, um ihre jeweiligen Gefühlslagen zu unterstreichen.. Der Film hieß »Point of No Return« und war ein Remake des französischen Streifens »La Femme Nikita«. Auf diese Weise erlebte eine ganze Generation von Kinobesuchern das Wunder und die Kraft von Simones fabelhafter Stimme.
Wo sind die Nina Simones dieser Generation? Es gibt sie. Vielleicht leben sie im verborgenen, aber es gibt sie. Möglicherweise trauen sie sich auch nicht, alles zu geben, wie es ihre erst kürzlich und viel zu früh verstorbene Vorgängerin getan hat. Denn sie wissen, daß Nina Simone große Opfer gebracht hat, um die Lieder singen zu können, die ihrem großen Herzen entsprangen. Solche Aussichten wirken zweifelsohne immer abschreckend. Man fragt sich, an wen aus der heutigen Generation man sich dreißig Jahre später noch erinnern wird. Wieviele von den Songs, die heute produziert werden, werden sich dann noch ihren Weg bahnen in die Herzen der Menschen oder die Glocke des Wiedererkennens in den Seelen schlagen? Wer wird Lieder singen vom Leben der Schwarzen in diesem neuen Jahrhundert, vom Wunder, vom Horror, von der Schönheit und vom Wahnsinn, die dieses Leben prägen?

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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