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Kolumne 1.062 vom 25.10.2021: Mitgefühl und Liebe

25.10.21 (von maj) Bewegungen müssen Raum dafür lassen, miteinander zu wachsen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 248 vom 25. Oktober 2021: Bitte HIER klicken!

Mitgefühl und Liebe
Menschen, die Ungerechtigkeiten erleben, schaffen Bewegungen dagegen, die nicht selten unter Schmerzen geboren werden. Das sollte niemanden von uns überraschen, denn als unsere Mütter uns zur Welt brachten, geschah das auch am Scheideweg zwischen Leben und Tod. Nicht anders ist das mit dem Schmerz, den wir angesichts sozialer Ungerechtigkeiten empfinden. Er entsteht durch innere Kräfte, die uns zum Kampf gegen dieses Unrecht drängen. Und das geschieht, obwohl wir in einem klebrigen Netz der Unterdrückung leben. Diese Tatsache geben wir selten zu, aber durch unsere sozialen Bindungen wissen wir, dass wir nicht frei sind.

Was bedeutet das für politische Bewegungen? Dass wir mit psychosozialen Verletzungen zu ihnen stoßen, die durch hypnotische Verlockungen der Macht noch verschlimmert werden. Vergessen wir also nicht, dass Menschen, die sich in Bewegungen für mehr Freiheit zusammenschließen, selbst nicht frei sind.

Wenn ich jetzt darüber spreche, was das konkret bedeutet, so geht es mir nicht nur um die Gegenwart, sondern auch um unsere Vergangenheit, in der eine der tiefgreifendsten politischen Bewegungen ihre Wirkung entfaltete. Männer, meist Männer, und Frauen, die nie Macht hatten, fanden sich in einflussreichen Positionen politischer Organisationen wieder, und nicht wenige von ihnen missbrauchten diese Macht. Es waren meist Männer, denen es um sexuelle Gefälligkeiten von Frauen ging.

Nebenbei bemerkt geht die europäische Moderne nicht allein auf das unmenschliche Leben im Kapitalismus zurück, wie Marx geltend machte, sondern auch auf die Inquisition, die von Unterdrückung und Massenterror gegen Frauen geprägt war. Im Namen eines Krieges gegen Hexen führten die Männer Krieg gegen die Frauen, die traditionell Kräuterkundige, Heilerinnen, Ärztinnen und Erzieherinnen der europäischen Völker waren. Ihre herausragende Stellung und Bedeutung sollte gemindert werden, um Platz für die Herrschaft der Männer und die Unterdrückung der enormen Kraft der weiblichen Sexualität zu schaffen.

So nahmen Männer, viele von ihnen in Gewändern, die an weibliche Kleidung erinnerten, ihren Platz in den Heilkünsten ein – in der Medizin, der Priesterschaft und in der Rechtspflege. Dieser tiefgreifende Missbrauch strahlte auf die gesamten europäischen Gesellschaften und ihre kolonialen Vorposten wie Amerika aus. Hier finden wir die Wurzeln des Patriarchats.

Im nachhinein kann ich feststellen, dass wir alle unterdrückt wurden. Selbst als wir unsere Macht missbrauchten, wurden wir von einer über uns stehenden Macht missbraucht, der Staatsmacht, die uns auf der Straße und, wie das Beispiel des von Polizisten erschossenen Black Panthers Fred Hampton zeigt, auch im Schlaf tötete. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Missbrauch der Macht auch dazu führte, dass Panther sich gegenseitig umbrachten, als ultimativer Missbrauch der Macht.

Bewegungen können und müssen Raum dafür lassen, um miteinander zu wachsen. Denn es gibt nur wenige Lebenserfahrungen, die bessere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Menschen bieten, die sich zu Bewegungen hingezogen fühlen. Im Grunde werden diese Bewegungen von Idealen getragen, von Menschen, die zutiefst davon überzeugt sind, dass eine andere Welt nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist. Das bedeutet, dass sie von Mitgefühl und einem Gespür füreinander geleitet werden, sich gegenseitig aufzubauen und zu unterstützen. Diese Gefühle helfen uns, einander wirklich zu sehen, auch unsere sehr menschlichen Schwächen im Kampf um die Veränderung der Welt.

Wenn Huey P. Newton und Eldridge Clever aus der Gründergeneration der Black Panther Party mehr Mitgefühl gehabt hätten, hätte die Partei vielleicht überlebt. Wir sind die Hüter unserer Brüder und Schwestern. Wir haben die Schlüssel des Mitgefühls in der Hand, die die Fesseln des Machtmissbrauchs sprengen können.

Wir alle sind einem unterdrückerischen System unterworfen, das alle beseitigen will, die eine Veränderung der Gesellschaft anstreben. Deshalb müssen wir aus den Fehlern unserer Vergangenheit lernen, um sie nicht zu wiederholen. Ich verabschiede mich von euch mit zwei einfachen, aber sehr kraftvollen Worten: Mitgefühl und Liebe. Damit können wir nicht scheitern.
Übersetzung: Jürgen Heiser

Mit diesem aufgezeichneten Beitrag beteiligte sich Mumia Abu-Jamal an dem virtuellen Teach-in »Survivors Speak Out – Confronting Abuse and Sexual Violence in the Movement« (»Überlebende ergreifen das Wort – Zum Kampf gegen Missbrauch und sexuelle Gewalt in der Bewegung«), das am 16. Oktober in den USA stattfand. (jh)
Link zur Website: https://carlitoroviraexposed.com

 
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