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Außerhalb des Rechts

21.10.21 (von ivk-jw) Der Afghanistan-Krieg ist beendet, aber das US-Gefangenenlager in Guantánamo auf Kuba existiert immer noch

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 245 vom 21. Oktober 2021: Bitte HIER klicken!

Außerhalb des Rechts


Vor dem Großen Zapfenstreich »zur Würdigung des 20jährigen Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan« am 13. Oktober 2021 hatte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, in der ARD erklärt, mit dem höchsten Militärzeremoniell vor dem Reichstag finde dieser Einsatz seinen »formalen Abschluss«. Was der General leicht dahinsagte, war indes ein langer Weg von der »uneingeschränkten Solidarität Deutschlands«, die Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) den USA 2001 nach »9/11« versprochen hatte, bis zum chaotischen Rückzug der NATO-Allianz aus dem geschundenen Land.

Eine Woche vor dem preußischen Militärspektakel hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in Berlin den Auftakt zu einer »offenen und ehrlichen Bilanzierung« des Afghanistan-Einsatzes verkündet. Am 6. Oktober 2021 eröffnete sie unter dem Titel »20 Jahre Afghanistan – Startschuss für eine Bilanzdebatte« eine Tagung über das militärische Debakel. Sie warb für einen »offenen und kritischen Diskussionsprozess« und die »transparente Aufarbeitung« des Einsatzes. In der Öffentlichkeit wurden indes erhebliche Zweifel geäußert, was von dieser Debatte wirklich zu erwarten sei. »Ratlosigkeit« wurde der Staatsführung vor allem wegen der völlig gescheiterten Evakuierung der sogenannten Ortskräfte vorgeworfen. Die Ministerin indes beteuerte, sie löse mit ihrer Initiative vor allem »ein Versprechen an die Truppe ein«. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hätten bewiesen, dass sie kämpfen können. Afghanistan bewege »uns alle«, predigte Kramp-Karrenbauer. General Zorn wollte bei der positiven Beurteilung seiner Chefin in nichts nachstehen. Für ihn habe »dieser Einsatz einen Sinn« gehabt. Die Truppe könne »stolz sein auf das, was sie am Hindukusch geleistet« habe.

Unkritische Aufarbeitung
Derlei oberflächliche Nachbereitungen eines fatalen Kriegseinsatzes finden derzeit in allen beteiligten NATO-Staaten statt. Schon dem Ansatz nach geht es dabei nicht um eine wirklich gründliche Analyse nach dem Abzug der Truppen der westlichen Allianz aus Afghanistan. Die Kriegsbefürworter scheinen eher bemüht, den seit dem 7. Oktober 2001 von der Regierung unter George W. Bush entfesselten Krieg zu rechtfertigen, ohne die unzähligen Kriegsverbrechen und Kriegsopfer thematisieren zu wollen. Das »Costs of War«-Projekt der Boston University schätzt, dass es mehrere Hunderttausende Tote unter der Zivilbevölkerung in der Region gab. Die Zahl der Vertriebenen bzw. Geflüchteten geht in die Millionen.¹

Gegenstand der umfassenden Kritik des »Krieges gegen den Terror«, der mit der Intervention in Afghanistan begann, war seit dem 11. Januar 2002 auch das US-Gefangenenlager »Camp X-Ray« auf dem Gelände des US-Marinestützpunkts Guantanamo Bay Naval Base in Kuba. Wie mit Röntgenstrahlen (X-Ray) wollten die Planer des Pentagon und der CIA in dem Komplex alle Gefangenen »bis auf die Knochen« durchleuchten, die seit Beginn des Afghanistan-Krieges in ihre Hände geraten waren. Von 2002 bis heute waren das insgesamt 779 minderjährige und erwachsene männliche Gefangene, die dort ohne Rechtsgrundlage auf unbestimmte Zeit interniert wurden. Heute sind es immer noch 39 Männer, gegen die das auf einer völligen Kontaktsperre basierende Haftstatut vollstreckt wird.

Wer wie Kramp-Karrenbauer über einen »offenen und kritischen Diskussionsprozess« und eine »transparente Aufarbeitung« des Afghanistan-Krieges redet, darf über das Folterlager Guantanamo nicht schweigen. Sowohl die aktuell amtierende Berliner Koalition als auch künftige BRD-Regierungen werden deshalb im Rahmen der überfälligen Bilanzierung des Kriegseinsatzes auch für die Existenz des Folterlagers Guantanamo und alle dort begangenen Menschenrechtsverletzungen Verantwortung übernehmen müssen.

Der US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay Naval Base befindet sich an der Südspitze der Republik Kuba. Seit dem Sieg der Kubanischen Revolution im Jahr 1959 fordert Havanna von Washington die Auflösung der Militärbasis, die 1903 errichtet wurde. Kuba war ebenso wie Puerto Rico 1898 von der US-Armee erobert worden und aus dem Besitz der spanischen Krone in den Kolonialbesitz der Vereinigten Staaten übergegangen. Auf beiden Inseln errichteten die USA Marinebasen, als sei das ein Naturgesetz.

Zuletzt sorgte die US-Marinebasis Guantanamo Bay im September für Aufmerksamkeit, als bekannt wurde, dass die US-Einwanderungs- und Zollbehörde ICE plant, ein auf dem Gelände bestehendes Internierungslager namens »Migrant Operations Center« (MOC) zu vergrößern. Dort sollen, wie schon einmal in den 1990er Jahren, haitianische Migranten eingesperrt werden, die dem Elend ihrer Heimat entfliehen und in die USA einwandern wollen.

Weltweit berüchtigt wurde der Stützpunkt jedoch, als die Bush-Regierung 2002 dort ein Hochsicherheitscamp errichten ließ. Es war die klare Absicht nach den Anschlägen vom 11. September 2001, im Antiterrorkrieg gemachte Gefangene der zivilen US-Gerichtsbarkeit und dem Schutz des Völkerrechts zu entziehen. Nach eingehenden Analysen des Pentagon war die im US-Militärjargon »Gtmo« (sprich »Gitmo«) abgekürzte Marinebasis dazu bestens geeignet. Die zumeist in Afghanistan und seinen Nachbarstaaten sowie in Nordafrika ergriffenen Männer waren faktisch Kriegsgefangene. Durch ihre Internierung als »ungesetzliche Kombattanten« in »Gitmo« wurde ihnen jedoch der Schutz der Genfer Konventionen verweigert.

Der Fall Kurnaz
Die Komplizenschaft der BRD bei der Duldung des ungesetzlichen Lagers in Guantánamo verdeutlichte sich am Fall Kurnaz. Der Deutschtürke Murat Kurnaz aus Bremen war im November 2001 von der pakistanischen Polizei festgenommen, gegen ein Kopfgeld an die US-Streitkräfte in Afghanistan übergeben und von Januar 2002 bis August 2006 in Guantanamo ohne Anklage inhaftiert worden. Kurnaz beschrieb diese fürchterliche Erfahrung in seinem 2007 erschienenen autobiographischen Buch »Fünf Jahre meines Lebens«. Als 19jähriger war er einer der ersten Gefangenen im neu eröffneten »Camp X-Ray«. Kurnaz schilderte detailliert die psychische und physische Folter, der er bereits während seiner Gefangenschaft in Afghanistan und dann vor allem in Guantanamo unterworfen wurde.

Deutsche Sicherheitsbehörden, die in die Vernehmungen von Kurnaz in Guantanamo durch die CIA einbezogen worden waren, hatten verhindert, dass der Bremer Ende 2002 freikam. Die zuständigen US-Stellen waren zu dem Schluss gekommen, dass Kurnaz kein »Terrorist«, sondern nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei. Deshalb schlugen sie vor, dass Kurnaz nach Deutschland zurückkehren könne. Doch die deutschen Behörden empfahlen, ihn lieber in die Türkei abzuschieben, woraufhin die USA ihr Angebot zurückgezogen und Kurnaz weiter schmoren ließen.

Nach längerem Hin und Her wurde Kurnaz dann doch entlassen. Er kehrte im August 2006 nach Deutschland zurück. Wie zuvor sein Anwalt Bernhard Docke erhob Kurnaz nun persönlich schwere Vorwürfe gegen die Regierung unter Gerhard Schröder, seine Entlassung im Jahr 2002 vereitelt zu haben. Wie zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestages in der Folge feststellten, war es der Bremer CDU-Innensenator Thomas Röwekamp, der sich dabei besonders hervorgetan hatte. Röwekamp versagte Kurnaz nämlich schon 2004 präventiv die Wiedereinreise. Die Begründung lautete: Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis des türkischen Staatsbürgers sei »wegen eines mehr als sechsmonatigen Auslandsaufenthalts erloschen«. Die vorgeschriebene Verlängerung der Wiedereinreisefrist habe Kurnaz (der nach wie vor in Guantanamo saß und also handlungsunfähig war) nicht beantragt. Ersonnen hatte diesen Trick ein damals zuständiger Referatsleiter im Bundesinnenministerium. Sein Name: Hans-Georg Maaßen. Der von Spiegel online als »Referatsleiter Gnadenlos« Titulierte lieferte damit Gründe für einen der Untersuchungsausschüsse zum Fall Kurnaz. Das Verwaltungsgericht Bremen hingegen entschied, Kurnaz’ Aufenthaltserlaubnis sei weiterhin gültig, da er nachweislich verhindert gewesen sei, »rechtzeitig die erforderliche Genehmigung für eine längere Abwesenheit ohne Verlust des Aufenthaltsrechtes einzuholen«.

Ein von Bernhard Docke angerufenes US-Gericht hatte zuvor im Januar 2005 entschieden, die von der US-Regierung verhängte Einstufung des Mandanten als »ungesetzlicher Kombattant« sei unbegründet und seine Inhaftierung folglich rechtswidrig gewesen. Es habe auch in den dem Gericht bekannten Geheimakten zu keiner Zeit Beweise für Kurnaz’ angebliche Verbindungen zu Al-Qaida sowie eine »besondere Bedrohung der USA« durch ihn gegeben. Im Oktober 2006 stellte dann auch die Bremer Staatsanwaltschaft das ursprünglich 2002 vom Karlsruher Generalbundesanwalt eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen »Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung« gegen Kurnaz ein.

Kampf um Menschlichkeit
Am Montag, dem 27. September 2021, bestand das US-Militärgefängnis in Guantánamo 7.200 Tage. Aus diesem Anlass demonstrierten Gegner des Lagers vor dem Weißen Haus in Washington. Mit dabei der im Jemen geborene Mansoor Adayfi, allerdings nur per Videoschaltung. Denn der ehemalige Gefangene, der 14 Jahre in »Gitmo« eingesperrt war, darf sein Exilland Serbien nicht verlassen. Die Einwilligung, sich nach Belgrad abschieben zu lassen, war Vorbedingung für seine Entlassung aus dem karibischen Folterlager.

In seinem im August 2021 in den USA erschienenen Buch »Don’t Forget Us Here. Lost and Found at Guantánamo« (»Vergesst uns hier nicht: Verloren und gefunden in Guantánamo«) erinnert Adayfi daran, dass es viele unschuldig in den Malstrom des »War on Terror« geratene Gefangene in Guantanamo gab und gibt. Adayfi fordert, das Lager endlich zu schließen – und mit ihm gleich die ganze US-Marinebasis.

Adayfi wurde in »Camp X-Ray« namenlos. Die Entpersönlichung war und ist in dem Lager Programm, Folterprogramm. Adayfi war nur noch »Häftling Nr. 441«, seit er als 18jähriger in die Fänge seiner Peiniger geriet und 14 Jahre ohne Anklage eingesperrt wurde. Weite Strecken dieses Leidensweges war er nackt und mit Klebeband auf dem Mund sowie einem Sack über dem Kopf stumm, taub und blind gemacht. In seinem Buch beschreibt Adayfi den Horror seiner Gefangenschaft und wie er und seine Leidensgefährten trotz allem ihren Verstand bewahrt, Solidarität aufgebaut und diese von Menschen geschaffene Hölle letztlich überlebt haben.

Offizielle Stellungnahmen von US-Regierungsstellen oder gar eine Art Wiedergutmachung gibt es nicht. Sie sind auch nicht zu erwarten. Doch es gibt in den USA Menschen, die nicht vergessen wollen, dass nach dem Ende der offiziellen militärischen Präsenz der NATO-Staaten in Afghanistan das Folterlager »Gitmo« für Gefangene aus diesem Krieg weiter fortbesteht.

Ronald Chernow, Expräsident der Schriftstellervereinigung PEN America, nannte Adayfis »bahnbrechendes Werk« eine »Führung durch die alptraumhafte Landschaft von Guantanamo« Die »beiläufige Grausamkeit und der organisierte Sadismus« müssten jedem US-Politiker »die Schamesröte ins Gesicht treiben«. Angesichts des »erbitterten Widerstands eines unschuldigen Jemeniten, der in ein höllisches Gefängnis gesteckt wurde«, hofft Chernow, dass sein Lebenszeugnis »eine längst überfällige Abrechnung mit den Schrecken von Guantanamo und seinen vielen Opfern auslösen wird«.² Adayfi zeige auf, »wie eine angeblich moralische Nation zu einem staatlichen Sponsor von Folter« werde«, so der Drehbuchautor und Pulitzer-Preisträger Dave Eggers.

Für Melissa Fleming, UN-Untergeneralsekretärin für globale Kommunikation, war Adayfi in der Haft »ein bemerkenswerter junger Mann, der sich nicht durch ritualisierte psychische und physische Folter brechen ließ«. Durch mutigen Widerstand und unerschütterlichen Glauben habe er sich seine Würde bewahrt und durch das Aufzeichnen seines Falles »ein Fenster von verblüffender Menschlichkeit in einen Ort geöffnet, der für immer geheimgehalten werden sollte«.

Gekidnappt und verkauft
Dieses Fenster hatten zuvor auch schon andere Leidensgefährten Adayfis aufgestoßen. So 2015 der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi, der wie Adayfi von 2002 bis 2016 in »Gitmo« interniert war und mit seinem Buch »Das Guantanamo-Tagebuch« aus der Haft heraus über seine Lage berichtete. Das Werk konnte indes erst erscheinen, nachdem seine Anwälte die Herausgabe des Manuskripts in einem jahrelangen Rechtsstreit mit dem Pentagon erzwungen hatten.

Für Slahi war aufgrund seiner eigenen Erfahrung wichtig, dass Adayfi »nun endlich selbst zu Wort kommt«, nachdem jahrelang nur die »offizielle Version seiner Geschichte zu hören und zu lesen war, wie sie von seinen Entführern erzählt wurde«. Nach 14 Jahren »schwerster Menschenrechtsverletzungen und täglicher Demütigungen, die den menschlichen Geist brechen sollen«, sei es »schon ein Sieg, überhaupt zu sprechen«, so Slahi. Mit Adayfis Bericht »über den Kampf der Gefangenen von Guantanamo um ihre Menschlichkeit« werde »die offizielle Geschichte über diese Männer vom Kopf wieder auf die Füße gestellt« und das Folterlager Guantanamo »als das gezeigt, was es ist: eine entsetzliche Schande und ein sinnloser Misserfolg«.

Der heute 38jährige Mansoor Adayfi wurde in dem kleinen jemenitischen Dorf Raymah geboren und wuchs mit elf Brüdern und Schwestern in einer »konservativen Großfamilie« auf, wie er am 27. September 2021 in einem Interview mit dem US-Sender Democracy Now! erzählte. Nach dem Besuch der Grundschule zog er zu einer Tante in die Hauptstadt Sanaa, um eine weiterführende Schule zu besuchen. Nach dem Abitur arbeitete er in Vorbereitung auf sein Studium in dem von der jemenitischen Regierung finanzierten Islamischen Institut in Sanaa als Betreuer ausländischer Studierender. Als »Sprungbrett in sein Studium« nahm er den Auftrag des Institutsleiters an, für eines seiner Buchprojekte in Afghanistan zu recherchieren.

In Afghanistan geriet er jedoch kurz vor seiner Heimreise in einen Hinterhalt afghanischer Warlords, die sich zunächst nur für sein Auto interessierten. Doch dann kam den Kriegern eine andere Idee. Die US-Luftwaffe hatte in Afghanistan Flugblätter abgeworfen, in denen von hohen Belohnungen für die »Ergreifung und Auslieferung von Terroristen« berichtet wurde. »Die Afghanen fanden heraus, dass man mehr Geld bekommt, wenn man den Amerikanern hochrangige Leute liefert«, erklärte Adayfi. »Der Preis lag zwischen 5.000 und 200.000 bis 500.000 US-Dollar.« Also kidnappten die geschäftstüchtigen Warlords Adayfi und verkauften ihn gegen ein hohes Kopfgeld als angeblichen »Ägypter mittleren Alters«, der ein wichtiger »Al-Qaida-General« und ein »Insider der Anschläge von 9/11« sei, an die CIA.

Ort der Folter
Noch in Afghanistan wurde Adayfi in einer »Black Site«, einem Haft- und Folterraum der CIA an unbekanntem Ort, gefoltert, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. »Dort hing ich wochenlang in der Dunkelheit von der Decke, nackt, geschlagen, mit Stromschlägen traktiert (…), bis nur noch Schmerz übrig war.« Adayfi versuchte herauszufinden, was seine Peiniger von ihm hören wollten. Die Wahrheit, dass er studieren wollte, erst 18 Jahre alt war, aus dem Jemen kam, kein Kämpfer von Al-Qaida sei und Amerika nicht hasse, wollten sie nicht hören. »Sie wollten, dass ich zugebe, dass ich ein Mann namens Adel bin, ein ägyptischer Al-Qaida-Rekrutierer, ein Terrorist, der Bombenanschläge plant.« Also gab er ihnen, was sie wollten, damit die Schmerzen aufhörten. »Wenn Sie es so wollen, dann werde ich Ihr Adel sein.« Aber für ihn war es noch lange nicht vorbei, denn »jetzt wollten sie Details, die ich ihnen nicht geben konnte«. Wenn er nun »keinen Wert mehr für sie hätte«, was würden sie dann mit ihm machen? In diesem Moment sei ihm klar geworden, dass er einen Teil von sich verloren hatte. »Der Schmerz, die Fragen und die Folter veränderten mich, und ich wusste nicht mehr, wer ich war.« Der Mensch, den die Warlords an die CIA verkauft hatten, sei in diesem Moment »für immer verschwunden«.

So wurden und werden in inquisitorischen Folterverhören jene »Terroristen« gemacht, die als Begründung für imperiale Kriege, »Regime-Change« und »Nation-Building« gebraucht werden. Oder für die Zerstörung funktionierender Gesellschaften, die sich nicht den selbsterklärten westlichen Herren der Welt unterwerfen wollen.

Als sich erwies, dass Adayfi kein Al-Qaida-General war, verloren die CIA-Agenten das Interesse an ihm. Aber er wurde nicht freigelassen. Blind und orientierungslos in einem Sack verschnürt, verschleppten ihn US-Soldaten zunächst ins berüchtigte US-Militärgefängnis am Flughafen von Kandahar. »Und von Kandahar aus wurde ich mit denselben Verhörakten weitergeschickt nach Guantanamo«, so Adayfi. Nach einem unendlich scheinenden Flug in einer alten Militärmaschine mit einer unbekannten Zahl von Mitgefangenen, alle gefesselt und blind und taub gemacht, gingen für Adayfi in »Gitmo« die Verhöre weiter.

Das war 2002. Dass es am Ende 14 Jahre werden würden, viele Jahre davon in Einzelhaft, konnte Adayfi nicht ahnen. 779 andere Gefangene teilten sein Schicksal. Sie kamen aus 50 Nationen mit 20 verschiedenen Sprachen und sollten in Isolation und qualvollen Verhören gegeneinander ausgespielt werden. Aber die Folterer »verstanden nicht, dass jedes Verhör, jede Misshandlung uns alle trotz unserer Unterschiede näher zusammenbrachte«, schreibt Adayfi im Buch. »Dieser Ort namens Guantanamo hatte uns zu Brüdern gemacht, und wir passten aufeinander auf, egal woher wr kamen und wer wir waren.«

»Was die meisten Menschen nicht wissen über Guantanamo, ist sein wirklicher Zweck«, so Adayfi. Es sei nicht darum gegangen, »die Sicherheit der USA zu gewährleisten«. Das Lager werde die »Insel außerhalb des Gesetzes« genannt. Sein einziger Zweck sei, dass dort das internationale Recht nicht gelte. »Die Genfer Konventionen gelten nicht. Amerikanisches Recht gilt nicht. Kubanisches Recht gilt nicht. Nichts gilt an diesem Ort. Es ist nur ein dunkles Loch, eine ›Black Site‹ innerhalb der Militärbasis.« An diesem geheimen Folterort sei Forschung betrieben worden wie im Labor, »über ›erweiterte Verhörtechnik‹, also erweiterte Foltertechnik«. »Wir wurden in Einzelhaft gehalten, an uns wurden Experimente durchgeführt. Wenn wir bestraft wurden, alles wurde für die Experimente genutzt – unsere Religion, unser tägliches Leben, Essen, Kleidung, Medizin, Gespräche, Frischluft. Alles wurde für diese Experimente verwendet. Und es gab immer einen Psychologen, der diese Experimente überwachte.«

Appell an Biden
Dagegen habe nur das Prinzip Hoffnung geholfen. »Hoffnung, das war eine Frage von Leben und Tod«, sagte Adayfi. Im Buch beschreibt er eindrücklich, wie sie als Gefangene trotz aller Restriktionen sich dagegen wehrten, die Hoffnung zu verlieren. »Also mussten wir uns gegenseitig unterstützen und versuchen, am Leben zu bleiben.«

Als Mansoor Adayfi am 27. September per Video dem Protest vor dem Weißen Haus zugeschaltet wurde, überreichte ein Bündnis zahlreicher Menschenrechtsorganisation zusammen mit der Anwaltsinitiative »Close Guantanamo« eine Petition mit 330.000 Unterschriften. Die Petition erinnert US-Präsident Joseph Biden daran, dass er wie schon sein demokratischer Vorgänger Barack Obama das Militärgefängnis schließen wollte. Es sei nach wie vor »ein internationales Symbol für Ungerechtigkeit«, das »einer Handvoll Männern, die weiterhin ohne Anklage oder Prozess inhaftiert sind, großen Schaden« zufüge. Die Schließung von Guantanamo sei »ein notwendiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit, Rechenschaftspflicht und Versöhnung«. Jetzt sei es »an der Zeit, mutig und schnell zu handeln«.³

Anmerkungen:

1 Siehe zu den Toten und Verletzten infolge der verschiedenen nach 2001 geführten Kriege und Militäroperationen: Joachim Guilliard: Eine furchtbare Bilanz. Die humanitären Kosten westlicher Interventionen nach »Nine Eleven« – ein Überblick, jW, 5.10.2021

2 Dieses und folgende Zitate sind dem Buch entnommen: Mansoor Adayfi: »Don’t Forget Us Here: Lost and Found in Guantánamo«, New York 2021

3 Petition weiter unterzeichnen: Link: https://actionnetwork.org/petitions/sign-the-petition-president-biden-must-close-guantanamo-prison

 
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