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Kolumne # 847 vom 13.03.2017: Macht und Sprache

13.03.17 (von maj) Frantz Fanon wusste: Es geht um mehr als Linguistik

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 62 vom 13. März 2017: Bitte HIER klicken!

Macht und Sprache
Der Schweizer Sprachwissenschaftler und Forscher Ferdinand de Saussure (1857–1913) gilt als Begründer der modernen Linguistik. In seiner Theorie unterscheidet er zwei in wechselseitiger Bedingtheit zueinander stehende Facetten der menschlichen Sprache: »Reden« (Parole) und »Sprache« (Langue). Das Reden als individuelle Sprachverwendung wohnt der Sprache inne, die seit ihren Anfängen aus der Kollektivität der Menschen entstanden ist. Das heißt, sie kann nicht in einer »einzelnen Seele« entstehen. Sie erwächst aus dem Miteinander oder es gibt sie ganz einfach nicht. Keine Sprache existiert umfassend in einem einzelnen Menschen, sie kann nur vollständig innerhalb einer Kollektivität von Menschen existieren.

Was aber waren die Elemente, die zum Aufkommen des individuellen Redens und der Sprache einer Gemeinschaft führten? Saussure lehrt, dass das Kernkonzept dieser kommunikativen Mittel der inhaltliche Zusammenhang zwischen dem »Bezeichnenden« (Signifikant) und dem »Bezeichneten« (Signifikat) ist, also der Verwendung der Sprache als Zeichen, um anderen eine bestimmte Bedeutungen nahezubringen. Die Bedeutung von Wörtern entspricht dem, worüber wir kollektiv eine Übereinstimmung haben – oder sie haben keine. Sprache beruht auf menschlicher Konvention und Vereinbarung statt auf einer naturgegebenen Gesetzmäßigkeit.

Sprachen sind jedoch nicht alle in gleichem Maße entstanden, wie der Psychiater und Revolutionär Frantz Fanon (1925–1961) in seinem 1952 in Frankreich erschienenen Buch »Schwarze Haut, weiße Masken« erläutert. Fanon macht das anhand der Psyche des Kolonialherren und der des Kolonialisierten nachvollziehbar. Im Bewusstsein der Franzosen und der Europäer sind ihre Landessprachen die »wahren Sprachen« und geradezu Modelle für Kultiviertheit. Von Schwarzen hingegen sagt man, dass sie »Dialekte« sprechen. Fanon zeigt uns, wie durch die Sprache – hier im besonderen die französische – der Versuch unternommen wird, unterdrückte Gemeinschaften aus ihrem Zustand der »Wildheit« in den der »Zivilisiertheit« aufsteigen zu lassen, indem sie sich die Sprache der Kolonialmacht aneignen und sie beherrschen.

Fanon schreibt in seinem Buch: »Ein Mensch, der die Sprache besitzt, besitzt auch die Welt, die diese Sprache ausdrückt und impliziert.« Wenn dem so ist, so kann auch das gegenteilige Prinzip angenommen werden: Ein Mensch, der die Sprache seiner Vorfahren verliert, verliert auch die Welt, die diese Sprache ausdrückt und impliziert.

Fanon wusste: »Der Besitz der Sprache bedeutet ungewöhnliche Macht« und entscheidet über die Stellung in der Gesellschaft. Jedoch kommt er schon zu Beginn seines Buches zu dem Schluss, es käme »nicht mehr darauf an, die Welt zu erkennen, sondern sie zu verändern«. Er macht das am historischen Beispiel deutlich: Die Revolutionäre der karibischen Insel Haiti, die siegreich gegen die Sklavenherren der französischen Kolonialmacht gekämpft hatten, erklärten sofort nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit die kreolische zur offiziellen Landessprache. Und während die heutigen Eliten weiter Französisch sprechen, sprechen die Massen mit »kreolischer Zunge«. Daran sehen wir, dass Sprache mehr ist als ein Phänomen der Linguistik. Sie ist auch ein Instrument zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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